Eigentlich hatte Kirsten Grieshaber nie die Absicht, ein Buch zu schreiben. Doch ein guter Freund, eine Art Mentor, der schon viele Bücher veröffentlicht hat, habe sie dazu ermutigt, sagt sie. »Jedes Mal, wenn ich ihm Episoden aus meinem Familienleben erzählte, sagte er: ›Schreib das unbedingt auf!‹« Also folgte sie dem Rat. In ihrem daraus entstandenen Buch Willkommen im Café Zahav. Meine israelische Mischpoke und ich erzählt Kirsten Grieshaber vom Alltag ihrer vierköpfigen Familie zwischen den Kulturen – deutsche und israelische, jüdische und nichtjüdische.
Reportagen Das Schreiben habe sie sich neu antrainieren müssen, erzählt sie. Und das, obwohl es das Metier der 46-jährigen Journalistin ist – seit mehr als zehn Jahren ist sie für die Nachrichtenagentur AP tätig und im Laufe ihres Berufslebens hat sie unzählige Reportagen und Berichte verfasst, darunter für die »New York Times«, die »Zeit« und die »taz«.
»Mein größtes Problem war, dass ich diesen Agentur-Stil hatte. Ich habe immer so kurz und so dicht wie möglich formuliert und jedes Adjektiv weggelassen.« Nachdem sie ihrem Verlag mehrere Kapitel geschickt hatte, kam die Rückmeldung, es sei zwar »alles sehr spannend, aber ob ich nicht ausführlicher schreiben und wörtliche Rede und Dialoge einbringen könne«. Das sei vom Technischen her die größte Hürde für sie gewesen.
Als die Kinder geboren wurden, änderten sich die Themen.
Auch den Prozess des Schreibens empfand Grieshaber als besonders intensiv und fordernd. »Die Geschichten sind schon sehr persönlich. Am Anfang habe ich wie mit angezogener Handbremse geschrieben. Aber irgendwann war das vorbei, und von da an war es wie Therapie.« Sie habe auch nicht mehr überlegt, ob das »irgendwann einmal jemand liest oder ob es meinem Vater gefällt. Das war dann alles egal«, erzählt sie.
SCHWIEGERELTERN Ihren israelischen Ehemann lernte Grieshaber während des Studiums in den USA kennen. Er ist ebenfalls Journalist und betrieb bis vor Kurzem ein israelisches Restaurant in Berlin-Mitte, das sie im Buch »Café Zahav« genannt hat. Er habe gewusst, dass sie loslassen müsse, um richtig frei arbeiten zu können, und habe ihr eine »carte blanche« gegeben, erzählt sie. Und so schildert Grieshaber ihre gemeinsame Zeit in New York, wie die beiden sich dort näherkamen, die ersten (nicht ganz einfachen) Besuche bei den jeweiligen Schwiegereltern und den Umzug nach Berlin. Damit ist immer auch ein Ausloten der kulturellen Unterschiede verbunden, zwischen den USA, Israel und Deutschland, zwischen Juden und Nichtjuden.
»Unsere Familie gäbe es gar nicht, wenn mein Mann und ich nicht beide zum Studium ins Ausland gegangen wären«, erzählt Grieshaber und ist sich bewusst, dass es gerade für ihren Ehemann als Jude und Israeli in New York sehr viel leichter war als in Berlin, nicht nur der Sprache wegen. »Dort kommt jeder von überall her und ist ein Einwanderer. Man ist kein Exot, man wird nicht komisch angeguckt. Als Jude gehörst du dazu.«
In einer Beziehung zwischen einer deutschen Nichtjüdin und einem jüdischen Israeli wird der historische Ballast mitgeliefert.
Es ist vor allem die Lockerheit im Alltag, die beide aus ihrer Zeit in den USA am meisten vermissen. »Diese Kultur, dass man einfach einmal alles ein bisschen aufbricht oder lockerer macht und die Distanz aufhebt, das gibt es hier gar nicht. Hier bleibt die Distanz, das ist ja so gewollt. In unserer Generation in Berlin ist das heute vielleicht etwas anders, aber insgesamt war es schon ein Kulturschock.«Die Entscheidung gegen New York und für Deutschland war trotzdem eine bewusste.
Nach einigem Hin und Her packte das binationale Paar 2008 die Koffer und zog nach Berlin. Ausschlaggebend dafür waren vor allem Familienplanung und Lebenshaltungskosten. »An der Uni fand ich es damals ganz toll in New York, viel besser als an allen deutschen Unis. Aber danach bist du nur noch am Arbeiten, bist ständig müde. Und in die Vororte ziehen wollten wir nicht. Ich denke, die Lebensqualität ist in Berlin einfach viel höher, obwohl es auch hier teurer wird. Die Schulen kosten nichts und sind trotzdem in Ordnung, du kannst eine ordentliche Wohnung haben, einen Job und hast trotzdem noch Zeit zum Leben.« In Berlin arbeite man, um zu leben, in New York sei es umgekehrt.
BESCHNEIDUNG Mit der Geburt der beiden Kinder des Paares in Berlin änderten sich auch die Themen, die im Vordergrund stehen. Das betrifft einerseits ganz konkrete Fragen wie die Beschneidung oder das Feiern von Festen. Vor allem aber sind es die dahinterliegenden größeren Themenkomplexe wie Identität, Zugehörigkeit oder auch Ausgrenzung, die immer wieder auftauchen, im Leben und im Buch.
In Brandenburg und an der Ostsee wurde die Familie mehrfach angepöbelt.
Ihre Themen seien ihr eigentlich von Anfang an klar gewesen, stellt Kirsten Grieshaber fest. »Klar, es gibt bestimmte Erlebnisse, die müssen einfach hinein in so eine bikulturelle Geschichte«, sagt sie und erinnert sich lächelnd an das erste Weihnachtsfest bei ihren Eltern, bei dem der eifrig helfende jüdische Schwiegersohn unter dem umstürzenden Weihnachtsbaum begraben wurde. »Das klingt fast wie ein Klischee, aber es ist wirklich so passiert.« Trotz solcher Begebenheiten, die sie mit Humor und Gespür für Situationskomik schildert, ist es der Autorin wichtig, dass nicht der Eindruck von »Kultur-Slapstick« entsteht.
Anekdoten Auch ihrem Verlag hat sie zu Beginn ganz klar gesagt, dass das Buch nicht nur aus Anekdoten bestehen würde. »Unser Leben ist lustig, und das ist gut so und soll dazugehören.« Aber es gebe eben auch die anderen Seiten, die gar nicht komisch seien, die nachdenklich machen und schockieren. Und auch die schildert Grieshaber mit viel Ehrlichkeit.
Dazu gehören zum Beispiel ein Angriff auf ihren Mann mit Pfefferspray mitten in Berlin, rassistische Sprüche auf der Ostseeinsel Usedom oder Pöbeleien an Brandenburger Badeseen. Ausflüge außerhalb Berlins unternimmt die Familie seither kaum noch.
Grieshaber schreibt dazu: »Wenn die anderen dann ohne uns zu den Seen fahren, gehen wir eben ins Freibad im Wedding und machen Arschbomben gemeinsam mit den anderen Einwandererkindern aus dem Nahen Osten. Solange wir niemandem erzählen, dass wir eine deutsch-israelische Familie sind und auch nicht zu laut Hebräisch sprechen, gehen wir locker als deutsch-arabische Familie durch und werden von niemandem angestarrt oder belästigt. Wir gehören fast dazu.«
BALLAST Wie ihre Kinder für sich die Frage der Identität einmal beantworten werden, kann die Journalistin nicht abschätzen. Im Moment seien sie noch in einem Alter, wo es für sie ganz klar sei, wie sie sich identifizieren, dass sie gemischte Kulturen und Identitäten haben. »Spannend wird es, wenn sie älter werden, als Jugendliche, da taucht ja das Thema Identität ganz speziell wieder auf. Es gibt diesen Spruch ›the best of both worlds‹ – das ist das Stärkende, Bereichernde, dass die Kinder sich fließend durch die Kulturen bewegen können, und dass sie viel mehr als nur eine Kultur haben.«
Das Paar hat seinen Platz zwischen den Kulturen gefunden – schwierig ist es eher für die Umwelt.
Aber in einer Beziehung zwischen einer deutschen Nichtjüdin und einem jüdischen Israeli wird der historische Ballast eben mitgeliefert, das wurde auch Kirsten Grieshaber schnell klar. »Anfangs, als wir uns kennenlernten, haben wir einmal über den Holocaust gesprochen und dachten dann, damit haben wir jetzt nichts mehr zu tun. Wir hatten ja keine Ahnung!«
Schoa Heute, sagt sie, sei sie manchmal froh, dass die Familie ihres Mannes ursprünglich aus dem Iran stamme und nicht »irgendwo anders her, wo man Teile der Familie durch die Schoa verloren hat. Dann wäre das Ganze wirklich noch zugespitzter.«
Ob ihre Kinder irgendwann einmal in einen inneren Konflikt geraten werden, weil sie »eine Familie haben, die sowohl deutsch als auch nichtjüdisch ist und in der es damit im weitesten Sinne auch Täter gibt, als auch eine jüdische Familie, die zwar nicht aus Europa fliehen musste, aber eben auch 2000 Jahre Verfolgung in der DNA hat«, vermag Grieshaber im Moment nicht zu beurteilen. »Judentum ist eben mehr als nur eine Religion«, fasst sie zusammen.
PLÄDOYER Für sich selbst hat die Familie längst ihren Platz zwischen den Kulturen gefunden. Feste werden einfach doppelt gefeiert: Chanukka genauso wie Weihnachten, Ostern, Pessach, Rosch Haschana oder andere jüdische Feiertage. Auch sonst stellen die gemischten Religionen, Identitäten und Sozialisationen innerhalb des Vierergespanns kein Problem dar.
Oft fehlt die Akzeptanz der Umwelt, ob hippe Elternschaft in Berlin-Mitte, koscherer Laden oder ultraorthodoxe Schwägerin.
Schwierig sei es eher für die Umwelt, die das oft nicht akzeptieren könne, sagt Kirsten Grieshaber nachdenklich. Und da hat sie ihre Erfahrungen nicht nur in Brandenburg gemacht, sondern auch unter der hippen Elternschaft auf Spielplätzen in Berlin-Mitte, im koscheren Geschäft oder bei der ultraorthodoxen Schwägerin. Sie habe mit ihrem Buch eigentlich »gar keine große Botschaft nach draußen tragen« wollen, sagt Grieshaber. Aber es sei schon ein kleines Plädoyer für die Freiheit.
»Wir haben hier etwas erreicht, nämlich Aufklärung, Frauenrechte, Demokratie – und das will ich beschützen. Ich möchte meine Freiheit hier behalten, und das Gleiche möchte ich auch für meinen schwulen Kollegen, für die lesbische Familie oder für unseren afrikanischen Nachbarn. Wir leben gut so, also lasst uns so leben.«
Kirsten Grieshaber: »Willkommen im Café Zahav: Meine israelische Mischpoke und ich«. Bastei Entertainment, Köln 2019, 239 S., 8,99 €