Es ist das Jahr 1917, noch herrschen die Osmanen über Jerusalem. Doch der Erste Weltkrieg geht auch an der Stadt und ihren Einwohnern nicht spurlos vorbei. Genau in dieser Zeit setzt die neue israelische TV-Serie Beauty Queen of Jerusalem ein, die auf dem 2013 erschienenen gleichnamigen Roman von Sarit Yishay-Levi basiert.
Bereits in einer der ersten Szenen werden reichlich Dramatik und düstere Stimmung geboten. Rosa Siton, ein junges sefardisches Waisenkind, erfährt, dass ihr Bruder Rachamim von den Türken gehängt wurde, weil er sich geweigert hatte, in deren Armee zu kämpfen. Kurz darauf entdeckt Rosa seine Leiche.
MATRIARCHIN Um zu überleben, bittet sie Mercada Armoza, herrische Matriarchin der gleichnamigen Familie, um einen Job als Putzhilfe in deren Geschäft auf dem Machane-Yehuda-Markt. Dort werden vor allem Luxusartikel wie edle Spirituosen und Pralinen verkauft.
Bald schon heiratet Mercadas Sohn Gabriel, gespielt von Michael Aloni, bekannt aus zwei anderen israelischen TV-Hits (Shtisel und When Heroes Fly) das mittellose Waisenkind.
»Michael Aloni war unsere erste Wahl«, erinnert sich Dafna Prenner. »Eigentlich sollte er einige weitere Folgen von Shtisel drehen«, so die Vizechefin von Artza, einer der Produktionsfirmen, auf deren Initiative Beauty Queen of Jerusalem entstand. »Doch die Pandemie wirbelte alles durcheinander, weshalb Aloni plötzlich zur Verfügung stand. Auch Sarit Yishay-Levi wollte ihn unbedingt dabei haben, weil er sie an ihren Vater erinnert.«
Doch die Ehe zwischen Gabriel und Rosa ist nicht ganz freiwillig. Eigentlich liebt er eine andere, und zwar Rohel, ein aschkenasisches Mädchen aus einer verarmten religiösen Familie. Das wiederum passt Mutter Mercada überhaupt nicht. Für sie sind Liaisons mit Aschkenasim ein No-Go, weshalb sie ihren Sohn zu der Heirat mit Rosa zwingt. Aus dieser unglücklichen Verbindung gehen schließlich drei Töchter hervor: Luna, Rachelika und Becky.
Für die Sefardin Mercada Armoza wäre die Ehe ihres Sohnes mit einer Aschkenasin ein No-Go.
Luna ist es denn auch, die im Plot der Serie in den Mittelpunkt rückt. Denn alle jungen Männer in Jerusalem sind verrückt nach ihr, machen der bildhübschen Frau den Hof. Das erklärt auch den Titel von Romanvorlage und Serie – bekanntermaßen hatte es Miss Jerusalem-Wettbewerbe nie gegeben, erst recht nicht in der Zeit der Osmanen oder des britischen Mandats. Luna entscheidet sich in Sachen Liebe dann für einen David, der wiederum seine Gefühle zu einem Mädchen nicht vergessen kann, das er während des Zweiten Weltkriegs in Italien kennengelernt hat.
ZEITSPRÜNGE So weit, so verworren auf den ersten Blick. Erzählt wird die Geschichte, die sich um die alteingesessene sefardische Familie Armoza dreht, von Lunas Tochter Gabriella. Sie ist es auch, die wie die Schichten einer Zwiebel Romanzen, verbotene Liebschaften sowie Tragödien und innerfamiliäre Konflikte aus vier Generationen peu à peu freilegt.
Für die Zuschauer stellt das schon eine kleine Herausforderung dar, weil man auffällig oft mit Zeitsprüngen konfrontiert wird. Mal spielt die Handlung im Ersten Weltkrieg, mal in den Anfängen des britischen Mandats, dann wieder während der Kämpfe im Vorfeld der israelischen Unabhängigkeit.
Alle männlichen Protagonisten sind dazu verdammt, auf ihre große Liebe zu verzichten und Frauen zu heiraten, die sie nicht wirklich lieben.
Und bald schon weiß man, dass ein Fluch über den Ermozas zu hängen scheint. Alle männlichen Protagonisten sind dazu verdammt, auf ihre große Liebe zu verzichten und Frauen zu heiraten, die sie nicht wirklich lieben. Das beginnt bereits mit Gabrielas Urgroßvater Rafael, der sich ebenfalls in ein aschkenasisches Mädchen vernarrt hatte, was seine Familie aber nicht akzeptieren wollte.
gefrierschrank Deshalb wird er dazu genötigt, ausgerechnet Mercada zu heiraten, die es in emotionalen Dingen durchaus mit einem Gefrierschrank aufnehmen könnte. Trotz – oder vielleicht gerade aufgrund – der komplexen Beziehungsgeflechte fasziniert die Serie vom ersten Moment an.
Das liegt zum einen daran, dass in der Geschichte die Wirkungsmacht judeo-spanischer Traditionen zum Tragen kommt, zum anderen natürlich an dem konfliktträchtigen Ort, an dem die Handlung sich entfaltet, und zwar das vorstaatliche Palästina. Das überzeugte ebenfalls die Kritiker.
Bereits unmittelbar nach der Premiere auf Yes Drama erhielt Beauty Queen of Jerusalem vier Ophirs (israelische Oscars). Daraufhin erwarb der Streamingdienst Netflix die Rechte an der nach eigenen Angaben aufwendigsten israelischen Serie überhaupt.
SAFED Gefilmt wurde der TV-Hit übrigens in Safed. Eigentlich waren Drehs in der Ukraine geplant. Doch dann machte Corona den Plänen einen Strich durch die Rechnung, und nun herrscht dort Krieg. »Jerusalem kam für uns nicht infrage, weil es einfach nicht mehr so aussieht wie vor 100 Jahren«, so Prenner. »Also wollten wir das Jerusalem der 1920er- sowie 30er Jahre nachbilden und landeten in Safed.«
Das ergibt durchaus Sinn. Denn die traditionsreiche Stadt im nördlichen Galil war Heimat vieler sefardischer Juden. Ihre Architektur und Atmosphäre verleihen dem TV-Drama einen fast mystischen Hintergrund, was hervorragend passt und der Serie ein hohes Maß an Authentizität verleiht.
Die ersten zehn Folgen sind seit Ende Mai auf Netflix zu sehen, weitere zehn kommen am 29. Juli hinzu.