Literatur

Von Itzig zu Hitzig

Foto: PR

Literatur

Von Itzig zu Hitzig

Norbert Krons Roman »Der Mann, der E.T.A. Hoffmann erfand« setzt dem jüdischen Biografen des Schriftstellers ein Denkmal

von Marko Martin  10.01.2023 21:50 Uhr

Zu Anfang scheint es wie eine Begegnung zwischen Feuerkopf und Sauertopf: Der in prekären Umständen lebende niedere preußische Staatsangestellte Hoffmann, der im Jahre 1804 noch nicht sein berühmtes Vornamens-Kürzel E.T.A. trägt, wird auf der Straße eines Kollegen ansichtig, den er für besonders tumb und spießig hält – damals nannte man solche Leute »Philister«.

Schnell stellt sich jedoch heraus, dass der 1780 Geborene (und damit sechs Jahre Jüngere) ein verwandter Geist ist, besser: einer von jenen, auf deren lebensneugierige Luzidität auch quecksilbrige Genialität nicht verzichten kann. Genau diese nämlich attestiert Isaac Elias Itzig seinem Amtskollegen Hoffmann, noch bevor sich dieser derer selbst bewusst ist. Und da sich auch die Frauen der beiden Männer bestens verstehen, beginnt eine Freundschaft, wie sie in der deutschen Literaturgeschichte ihresgleichen sucht.

ausnahmegeschehen Der 1965 geborene Berliner Schriftsteller Norbert Kron, nicht zuletzt bekannt für seine Veröffentlichungen zu Israel, hat diesem Ausnahmegeschehen jetzt ein Buch gewidmet, das den schönen Titel trägt Der Mann, der E.T.A. Hoffmann erfand. Roman einer Freundschaft. Und obwohl die Geschichte faktentreu vom preußisch besetzten Warschau ins napoleonisch okkupierte Berlin und dann in die restaurative Zeit nach dem Wiener Kongress führt und Originaltexte aus Prosa und Briefen in sie Eingang finden, gerät der Autor in keiner Zeile in die Falle einer bräsig historisierenden Epik.

Im Gegenteil: Wie leicht und dennoch nie leichtfertig wird hier – nicht ohne feinen Sinn für Situationskomik – gleichsam die Doppelbiografie zweier Selbsterfinder erzählt: Aus Isaac Elias Itzig wird, um den Aufstiegs-Konventionen der damaligen Zeit zu entsprechen, der hohe Staatsbeamte, Verleger und Biograf Julius Eduard Hitzig, der durch unermüdliche Ermutigung mit dazu beiträgt, dass aus dem bis dato ziellosen und eher unglücklich dilettierenden »Componisten« Hoffmann just jener Autor fantastischer literarischer Stücke wird, als den wir ihn heute kennen.

Im Salon von Hitzigs Tante Sara, einer Cembalo-Lieblingsschülerin des Bach-Sohns Friedemann, die einst bei Moses Mendelssohn Hausunterricht gehabt hatte, lernt Hoffmann die Prominenten jener Zeit kennen, unter anderem den Dichter Adelbert von Chamisso und den Freiherrn vom und zum Stein, der verspricht, sich für die Emanzipation der Juden einzusetzen.

AUSSENSEITER Norbert Kron zeichnet indessen kein Kitschbild einer sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose. Da doch selbst der so tief in der Kultur seines Landes verwurzelte Hitzig häufig auf seine Außenseiter-Position zurückgestoßen wird – einmal bei einem weinseligen Abend bei Lutter & Wegner am Berliner Gendarmenmarkt sogar von Freund Hoffmann selbst. Ein Schauspieler deklamiert Shakespeares berühmt-berüchtigte Shylock-Zeilen, die alkoholisierte Runde fällt grölend mit ein, während Hoffmann das alles auch dann noch für Jux und Alberei hält, als die ersten antisemitischen Sprüche zu vernehmen sind.

Hitzig aber wird selbst das verzeihen, Hoffmann bis zu dessen frühem Tod die Treue halten, dessen Witwe finanziell beistehen und später als Biograf maßgeblich dazu beitragen, dass »E.T.A.« nicht dem Vergessen anheimfällt.

Wann hat man je Derartiges gelesen, fast beiläufig erzählt und deshalb von umso stärkerer Intensität? Der hiesige Literaturbetrieb aber, der sich im Sommer ob Hoffmanns 200. Todestag schier überschlagen hatte, hat ausgerechnet diesen konzisen Kurzroman fast vollständig ignoriert. Norbert Krons Buch, prägnant illustriert von Berliner und Tel Aviver Malern und Zeichnerinnen, ist trotzdem vor allem dies – ein kleines Meisterwerk, literarisch und menschlich zutiefst bewegend.

Norbert Kron: »Der Mann, der E.T.A. Hoffmann erfand. Roman einer Freundschaft«. AphorismA, Berlin 2022, 221 S., 22 €

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025