»Die Wahrheit lachend sagen« – so hat einst der Vater die Arbeiten seiner Tochter Gabriella Rosenthal charakterisiert. Ihre Äußerungen waren aber keine Worte. Vielmehr handelte es sich um karikaturhafte Zeichnungen, die einen alltagsnahen, heiteren und liebevollen Blick auf das spannungsreiche und vielfältige Leben in Jerusalem zwischen 1935 und 1955 werfen. Zu ihrer Zeit durchaus bekannt, ist die Künstlerin heute fast ganz in Vergessenheit geraten.
Doch dann trat ihr Sohn Tovia Ben-Chorin, der erste liberale Rabbiner Israels und von 2009 bis 2015 auch Rabbiner in Berlin, an die Stiftung Neue Synagoge Berlin heran. Er brachte die Idee mit, eine Ausstellung über die Mutter zu machen und hatte die Originalzeichnungen gleich dabei. Nachdem die Schau dort im Vorjahr gezeigt wurde, hat das Jüdische Museum München sie nun bis 2. August übernommen. Doch wird nun stärker der lokale Bezug in Rosenthals Werk betont.
FAMILIE Denn Gabriella wurde 1913 in eine führende Münchner Antiquarsfamilie hineingeboren. Der Großvater hatte die Stadt in ein internationales Zentrum für Antiquare verwandelt; bei ihm arbeitete sie in ihrer Jugend einige Zeit und entwickelte so ihr künstlerisches Talent. Ihre frühen Zeichnungen, aber auch ihr späteres Werk, lassen erkennen, dass sie von Honore Daumier, Wilhelm Busch und Walter Trier inspiriert wurde. Sie zeigen bayerische Kinder auf Skiern, die Künstlerin selbst als Bäuerin zwischen Kuh und Kalb oder auch ihre eigene Verlobungskarte.
1935 heiratete sie den Münchner Schriftsteller, Theologen und Journalisten Fritz Rosenthal, der später unter dem Namen Schalom Ben-Chorin berühmt wurde. Unmittelbar nach der Hochzeit wanderte das zionistisch überzeugte Brautpaar nach Jerusalem aus. Dort begann Gabriella ihren neuen Alltag künstlerisch festzuhalten, vor und nach der Staatsgründung und inmitten eines Konflikts, der sich immer mehr zuspitzte. Besonders ihre Zeichnungen – mit Feder und Bleistift – und Aquarelle, aber auch pointierte feuilletonistische Texte veröffentlichte sie bis 1938 erfolgreich in verschiedenen Zeitungen wie der »Jüdischen Rundschau«.
Nach ihrer Scheidung diente Rosenthal in der britischen Armee bei der Luftwaffe in Kairo und kehrte 1943 nach Jerusalem zurück. Bekannt wurde sie vor allem mit ihren 1946 und 1947 erschienenen humorvoll-witzigen Cartoons, den »Palestine People«, die jeden Freitag die englischsprachige »Palestine Post« veröffentlichte. Ab Mitte der 1950er-Jahre arbeitete Rosenthal dann als Kunstlehrerin in arabischen Dörfern und reiste als Touristenführerin durchs Land. Nachdem sie 1975 unerwartet gestorben war, fand sie ihre letzte Ruhe in Jerusalem.
HUMOR Ihren feinsinnigen bayerischen Humor hat sie sich stets bewahrt. Das zeigt sich etwa in ihrer »Jerusalemer Schönheitsgalerie« von 1939, in eindeutiger Anspielung auf jene von Bayerns König Ludwig I. Hier sieht man nicht nur eine »Arife aus Lifta« mit Obstkorb auf dem Kopf oder eine sportliche »Fizi aus München«, sondern auch »schöne Männer« wie den Gemüsehändler »Ibrahim«, den eleganten »Fritz Gotthelf« aus Bayern oder den »Fischer Mosche aus Saloniki«.
In all ihren Werken spiegelt sich die Wertschätzung für jeden Menschen ohne Unterschied der Herkunft, der Religion oder des Geschlechts. In ihnen steckt viel Humor, manchmal auch etwas Sarkasmus. Immer aber legt die Künstlerin Wert darauf, alle Menschen gleich zu behandeln – die Kibbuzniks ebenso wie die deutsch-jüdischen Migranten mit vornehmen Hüten, die chassidischen Juden mit Kaftan, die piekfein-eleganten Engländer mit Nadelstreifenhosen, arabische Händler oder ihre Frauen in traditioneller Tracht.
Ihre Karikaturen zeigen spezifisch überspitzte Typen, aber sie sind nicht höhnisch, sondern rufen eher Schmunzeln hervor. Die Künstlerin nimmt, nicht unähnlich vielen jüdischen Witzen, die kleinen Fehler und Unzulänglichkeiten der Menschen aufs Korn, scharf beobachtet mit humorvoller Feder – aber mit dem Blick einer vorurteilsfreien Menschenfreundin. Multikulti in seiner besten Ausprägung: als Nebeneinander der Verschiedenheiten.