Schon die Aufmachung ist doppeldeutig. Schlicht weiß ist der Einband, der Titel darauf in zart blauen Buchstaben – die Farben Israels. Mit Zukunftsarchäologie: Eine Anthologie hebräischer Gedichte ist nun erstmals nach 1945 in Deutschland im Frankfurter Klostermann-Verlag ein Lyrik-Band in deutscher und hebräischer Sprache erschienen.
Herausgeber sind die israelischen Literaturwissenschaftler Giddon Ticotsky und Lina Barouch, die die Werke von sechs Autoren und einer Autorin zusammengestellt haben. Die Idee dazu stammt von Rachel Heuberger, der Leiterin der Hebraica- und Judaica-Sammlung der Zentralbibliothek der Frankfurter Goethe-Universität, und dem israelischen Generalkonsul Dan Shaham. Gemeinsam präsentierten sie das Werk jüngst in der deutschen Nationalbibliothek Frankfurt.
Wiederbelebung »Wir wollten die Tradition in Deutschland beleben, hebräische Texte im Original zu drucken«, begründet Rachel Heuberger die Initiative. »Dazu gehören neben wissenschaftlichen Texten auch Belletristik und Lyrik«, betont die Historikerin. Zum Kreis der Schriftsteller zählen Avraham Ben Yitzhak, David Vogel, Ludwig Strauß, Jehuda Amichai und Dan Pagis. Mit Lea Goldberg kommt die einzige Schriftstellerin und mit Tuvia Rübner der einzige noch lebende Literat hinzu.
Die Verwurzelung in beiden Kulturen, in Deutschland und Israel, ist das verbindende Element. Alle Autoren wurden vom deutschsprachigen Kulturkreis beeinflusst, haben ihre Gedichte jedoch fast alle nur auf Hebräisch verfasst. Viele konnten vor der Schoa flüchten, mancher, wie David Vogel, wurde in Auschwitz von den Nationalsozialisten ermordet.
Der Band soll, so Heuberger, an eine fast vergessene Tradition in Deutschland erinnern. Berlin, aber auch Frankfurt und Bad Homburg, waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Zentren hebräischer Literatur. »Viele israelische Nationaldichter und Schriftsteller haben dort ihre Sprache und das biblische Hebräisch weiterentwickelt, versucht, Worte zu finden und Gedichte zu verfassen.« Bis 1933 erschienen viele Bücher in Deutschland auf Hebräisch. Vor allem viele osteuropäische Juden hatte es nach dem Ersten Weltkrieg nach Bad Homburg gezogen.
geschichte »Das ist wenig bekannt und nach der Schoa ganz in Vergessenheit geraten«, erklärt die Wissenschaftlerin. Darunter waren so bedeutende Schriftsteller wie der spätere Nobelpreisträger Samuel Joseph Agnon. Er lebte bis 1925 in der hessischen Kurstadt. »Um Agnon hatte sich ein großer Kreis von Schriftstellern und Gelehrten gesammelt, darunter Martin Buber oder Gershom Scholem«, sagt Heuberger. Mit dabei war auch die in Israel bekannte Omanut-Verlegerin und spätere Politikerin Shoshana Parsitz. Sie alle wanderten Mitte der 20er-Jahre von Bad Homburg nach Palästina aus.
An diese deutsch-hebräischen Bande soll das neue Lyrik-Werk anknüpfen, wünschen sich Heuberger und Dan Shaham. Die ausgewählten Autoren schreiben über das Gestern und Heute, darüber, dass Sprache eine Brücke schlägt. Ihre Gedichte handeln von der Zerrissenheit, vom »Abgetrenntsein« von ihrer Kultur, von den Erfahrungen im Exil und davon, dass die neue Heimat noch fremd ist. »Sie alle haben aber ihren Schatz, die Sprache, aus ihrer alten in die neue Heimat retten können«, sagt die Frankfurterin. Weil sie eben auf Hebräisch weiterschrieben. Das gelang nicht allen nach Palästina emigrierten Literaten.
Die Anthologie setzt diese Wechselseitigkeit auch optisch und symbolisch um. Auf der linken Seite stehen die Gedichte im hebräischen Original, rechts die deutschen Übersetzungen. »Das Buch ist also nach hebräischer und deutscher Lesegewohnheit aufzuschlagen«, betont Rachel Heuberger. Auch auf einen literarischen Effekt hoffen die Ideengeber. »Die Anthologie ist eine Kostprobe. Vielleicht weckt sie ja das Interesse an weiterer israelischer Literatur und ihren vielen lesenswerten Verfassern.«
Giddon Ticotsky, Lina Barouch (Hg.): »Zukunftsarchäologie: Eine Anthologie hebräischer Gedichte«. Klostermann, Frankfurt 2015, 88 S., 16,89 €