»Ich versuche alles zu sammeln, dessen ich habhaft werden kann«, sagt Rachel Heuberger und lacht. Eine Leidenschaft, der die Historikerin professionell frönt und die man wohl auch haben muss als Leiterin eines Sondersammelgebietes an der Senckenberg-Bibliothek der Frankfurter Goethe-Universität. Heuberger betreut die größte Sammlung wissenschaftlicher Literatur zu den Themen Judentum und Israel in der Bundesrepublik.
Seit 1949 werden an der Frankfurter Universitätsbibliothek alle Veröffentlichungen aus dem In- und Ausland zusammengetragen, die sich – in allen nur denkbaren Aspekten – mit dem nachbiblischen Judentum und mit dem modernen Staat Israel befassen. »Wir sind die einzige dieser Art in Deutschland und in der Welt eine der größten Sammlungen. Wir können mit Harvard oder den Universitäten in London und Paris mithalten«, sagt Heuberger nicht ohne Stolz.
hebraica Grundstock war die Hebraica- und Judaica-Bibliothek, die Ende des 19. Jahrhunderts durch großzügige Spenden jüdischer Stifter entstand und vor dem Zweiten Weltkrieg als eine der bedeutendsten Spezialsammlungen auf dem europäischen Kontinent galt. Geleitet wurde sie bis 1933 von Aaron Freimann, berichtet Heuberger. Gerade einmal 20.000 Bände überstanden das Bombardement Frankfurts. Heute können Studenten, Forscher und Interessierte jedoch dank kontinuierlicher Neuerwerbungen wieder aus einem Bestand von rund 200.000 Bänden auswählen.
Dazu gehört auch die Israel-Sammlung. »Mit der Gründung des Staates Israel 1948 entstand eine neue Dimension«, sagt Heuberger, die sich mit dem Thema beschäftigt, seit sie in Jerusalem Geschichte studiert hat. Eine Flut an Veröffentlichungen, Büchern und Medien kam mit der Unabhängigkeit des jüdischen Staates hinzu, 1964 entstand daher offiziell die Israel-Sammlung an der Universitätsbibliothek. Finanziert wird sie seither von der Universität und der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Nahost-Konflikt »Wir kaufen weltweit alle Veröffentlichungen, die sich mit dem Staat Israel befassen, mit den Beduinen im Negev, mit dem Nahost-Konflikt oder auch den Palästinensern«, sagt Heuberger. Das sind einige Tausend Werke im Jahr, rund 50.000 Bände umfasst die Sammlung mittlerweile. Eine kleine Auswahl davon steht im Judaica-Lesesaal der Unibibliothek im Stadtteil Bockenheim.
Regale reihen sich dicht an dicht. Hier finden sich Reiseführer und Atlanten, Hefte des Auschwitz-Museums, eine Phalanx an Herzl Year Books, meterweise Protokolle des Zionistischen Kongresses von 1935 in Luzern, Bände der »Yiddishe Kultur« von 1938 bis 1999, Abhandlungen der Jewish Historical Society of England, Protokolle der Knesset, wissenschaftliche Zeitschriften, Archäologie-Fachblätter, Zeitungen, Romane, Gedichtbände, Kinderbücher, Comics oder auch das US-Magazin »Journal of Palestine Studies«.
»Wir sammeln alles, von rechts bis links. Bei uns gibt es keine Zensur. Wir versuchen alle Seiten Israels aufzuzeigen«, sagt Heuberger. Auch sehr kritische oder antisemitische Literatur. Wer solche Werke ausleihen will, muss allerdings nachweisen, dass er Forschungen dazu betreibt oder als Student etwa an einer Hausarbeit arbeitet, betont die Leiterin.
Die Sammlung will den Staat Israel in seiner Gesamtheit, in all seinen Facetten abbilden. Im Lesesaal oder im Magazin der Sammlung – ein Teil der Bestände ist unterdessen auch digitalisiert und kann online eingesehen werden – finden sich daher Werke zu den Themen Politik, Kultur, Geschichte, Religion, Zionismus, Philosophie oder auch Wirtschaft, Recht und Menschenrechte oder zur Frage der israelischen Identität.
Sogar israelische Kochbücher sind darunter, »auch das ist schließlich Teil der Kultur«, findet sie. Ebenso vorhanden sind so ziemlich alle Kataloge über jede größere Kunstausstellung, die irgendwann einmal in israelischen Museen oder Galerien eröffnet wurde.
belletristik Ein Schwerpunkt der Sammlung jedoch, sagt Heuberger, ist der Nahost-Konflikt. »Das Interesse an diesem Thema ist sehr groß, und dazu haben wir fast alles«, so die Historikerin.
Im Fokus steht aber trotz solcher politischer Sammelaufträge auch die Literatur des Landes, die Belletristik. Von Amos Oz über David Grossman bis hin zu eher unbekannten Schriftstellern sind alle Literaten vertreten. Wer sich informieren will, findet hier Romane, Novellen, Gedichtbände israelischer Autoren in allen gängigen Sprachen. Heuberger selbst liebt israelische Belletristik, liest auf Hebräisch. Sie war mit der verstorbenen Batya Gur bekannt, deren Werke sie geschätzt hat. »Es ist immer einer der schönsten Momente in der Bibliotheksarbeit, wenn die Buchsendungen und Neuerscheinungen eintreffen«, sagt sie.
Die Frankfurterin Heuberger hält den deutschen und den angloamerikanischen Markt im Blick, weltweit steht die Unibibliothek zudem mit Agenten, Lieferanten oder Hochschulen im Kontakt, um bei der Flut an Veröffentlichungen auf dem Laufenden zu bleiben. »Wir versuchen, vollständig zu sein«, erklärt Heuberger. Und wenn mal nicht, dann bestellt sie auf Anfrage von Interessenten, Forschern oder Studenten das gewünschte Werk als Eilsendung. »Unser Anliegen ist es, Studenten jedes Werk oder Buch zur Verfügung zu stellen«, sagt sie.
www.ub.uni-frankfurt.de