Filmfest

Von Adrien Brody bis Leni Riefenstahl

Auf dem roten Teppich des 81. Filmfestivals in Venedig lassen sich Eier braten, so heiß ist es in diesem Jahr. Schweißtreibend ist auch die Taktung, mit der sich die Stars bei Pressekonferenzen die Klinke in die Hand geben. Die Mostra (noch bis 7. September) möchte wieder ihrem Ruf als Startrampe für die Award Season gerecht werden und hat ziemlich erfolgreich Hollywood eingeladen, darunter Angelina Jolie, Nicole Kidman, George Clooney, Brad Pitt, Cate Blanchett, Daniel Craig, Joaquin Phoenix, Lady Gaga und Adrien Brody.

Gekommen ist auch Jude Law, der in Justin Kurzels außer Konkurrenz laufendem The Order preisverdächtig grummelig einen abgehalfterten FBI-Agenten spielt. Der ermittelt gegen eine Nazi-Organisation, die mit Terroranschlägen ihre Umsturzpläne vorbereitet. Der Kopf der Organisation (Nicholas Hoult), ein demagogisch talentierter All-American-Boy, predigt von Rassen-Theorien, verteufelt Juden als Unmenschen und lässt Pornokinos und Synagogen sprengen.

Jude Law spielt preisverdächtig grummelig einen abgehalfterten FBI-Agenten

Kurzel greift historische Ereignisse um die Organisation »The Order« auf und gießt sie in einen knallharten Genrestreifen mit wuchtig-konzentrierten Action-Szenen und Michael-Mann-Reminiszenzen – ein leider sehr aktueller Film in unserer von Antisemitismus, Rassismus und rechter Radikalisierung begleiteten Gegenwart.

»September 5« erzählt aus Sicht von Journalisten vom Anschlag auf die israelischen Sportler 1972.

Die dunklen Seiten der Geschichte sind allgegenwärtig, auch bei den deutschen Produktionen Riefenstahl und September 5. Der Dokumentarfilmer Andres Veiel setzt sich in seinem außer Konkurrenz laufenden Film Riefenstahl mit der berüchtigten Filmemacherin und NS-Propagandistin auseinander, die in Hitlers Diensten Streifen wie die NSDAP-Parteitags-Inszenierung Triumph des Willens (1935) oder Olympia (1938) über die Spiele von 1936 drehte.

Mittels assoziativer Montage blickt Veiel mit neuem Material, das ihm und seiner Produzentin Sandra Maischberger zur Verfügung stand, hinter die Fassade Riefenstahls. Sie habe, sagt Letztere einmal, nur dokumentiert und Kunst, nie Politik gemacht. Etwas, das man ihr zu keiner Zeit glaubt, denn auch, wenn Veiel in seiner Montage der Aufklärung nicht daran interessiert ist, ein einseitiges Bild der Filmemacherin zu zeichnen, so entlarvt er doch immer wieder die Frau und Bildmanipulatorin zwischen Hitler-Hype, radikaler (gespielter?) Naivität und heftigem Ehrgeiz mit ihren eigenen Mitteln.

Der erste Terroranschlag, der live im TV übertragen und von 900 Millionen Menschen verfolgt wurde

Von einer anderen Montage der Aufklärung handelt Tim Fehlbaums Journalisten-Thriller September 5. Der Schweizer Regisseur erzählt vom Terroranschlag bei den Olympischen Spielen 1972, bei dem palästinensische Terroristen elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln nahmen. Nach Filmen wie Steven Spielbergs München findet er einen eigenen Zugang, indem er aus der Sicht von Journalisten von dem Terroranschlag erzählt – dem ersten, der live im TV übertragen und von, so heißt es im Abspann, 900 Millionen Menschen verfolgt wurde.

Der dicht inszenierte, kammerspielartige Thriller bleibt fast die gesamte Zeit im Münchner Sendezentrum des US-Kanals ABC, feiert das klassische fernsehjournalistische Handwerk und stellt zugleich ethische Fragen: Welche Bilder dürfen gezeigt werden, und inwieweit spielen die Journalisten den Terroristen, die die Bilder ebenfalls sehen können, in die Hände? »Ist das unsere Geschichte oder deren?«, fragt einmal jemand.

Der Nahost-Konflikt spiegelte sich auf dem Lido auch an anderer Stelle, als sich die israelischen Regisseure Amos Gitai und Dani Rosenberg mit einem Boykott-Aufruf konfrontiert sahen: Die Produktionsfirmen ihrer Filme würden, so heißt es in einem offenen Brief von 300 Künstlern, »zur Apartheid, Besatzung und jetzt zum Völkermord« beitragen. Zu den Unterzeichnern gehören Hany Abu Assad, Enrico Parenti und Alessandra Ferrini.

300 Künstler fordern, die Filme der Israelis Amos Gitai und Dani Rosenberg zu boykottieren.

In seinem Film Why War setzt sich Gitai auf Grundlage einer Korrespondenz zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud aus den 30er-Jahren mit Fragen zur kriegerischen Natur des Menschen auseinander und dazu, wie Kriege vermieden werden können. Rosenberg erzählt in Of Dogs and Men von einem Mädchen, das nach dem Anschlag in ihren Kibbuz am Zaun zu Gaza zurückkehrt, um ihren Hund zu suchen und dort Rachedurst und zugleich einen unerschütterlichen Humanismus findet.

Nicht öffentlich angegriffen wurde Göran Hugo Olssons Israel Palestine on Swedish Television 1958–1989, ein dokumentarisches Mixtape aus den Archiven des schwedischen Fernsehens.

Hoffnungen auf einen Löwen können sich »Joker: Folie à Deux« von Todd Phillips und »The Brutalist« von Brady Corbet machen

Hoffnungen auf einen Löwen können sich unter den Filmen von jüdischen Regisseuren oder mit jüdischen Bezügen die Wettbewerbsbeiträge Joker: Folie à Deux von Todd Phillips und The Brutalist von Brady Corbet machen. In Letzterem spielt Adrien Brody preiswürdig einen in Ungarn geborenen jüdischen Architekten, der 1947 in die Vereinigten Staaten auswandert und dort nach anfänglicher Armut an einen wohlhabenden Tycoon gerät (toll: Guy Pearce), für den er ein modernistisches, kathedralenartiges Gebäude bauen soll.

Corbys Film zelebriert vollmundig die große Geste in wuchtigen dreieinhalb Stunden Laufzeit und erzählt zwischen Licht und Finsternis eine Geschichte von Migration, Macht, Liebe und künstlerischem Perfektionismus. The Brutalist wird ganz sicher auch bei den Oscars eine Rolle spielen.

www.labiennale.org/en/cinema/2024

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