Sohn deutscher Emigranten, Ikone der Studentenrevolution von 1968, Grünen-Politiker und überzeugter Europäer: Daniel Cohn-Bendit mischt seit über fünf Jahrzehnten in der politischen Debatte auf beiden Seiten des Rheins mit.
Der streitbare Publizist und Filmemacher ist gefragt, mit dem französischen Staatschef Emmanuel Macron tauscht er nach eigener Auskunft auf dem Handy SMS-Nachrichten aus.
Zeitenwende Vor seinem 75. Geburtstag am Samstag zeigt sich der Deutsch-Franzose angesichts der Corona-Krise auch nachdenklich – und spricht von einer »hyper-ängstlichen Zeitenwende«.
Cohn-Bendit lebt in Frankfurt. In Frankreich ist er in der öffentlichen Debatte präsent, Menschen erkennen ihn auf der Straße, manche sehen ihn immer noch als einen Star.
Ich bin weder Deutscher noch Franzose. Ich bin der französischte Deutsche und der deutscheste Franzose. Daniel Cohn-Bendit
Die Tageszeitung »Le Monde« nannte den quirligen Ex-Parlamentarier einmal einen »besonderen Cocktail mit zwei Staatsangehörigkeiten«. Im Alltag haben für ihn die zwei Ausweise allerdings wenig Bedeutung: »Es ist mir völlig wurscht, welchen Pass ich ziehe. Vor drei Jahren war mein Visum für New York in meinem deutschen Pass«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Paris.
Fussball In seinem autobiografischen Buch über Fußball erzählt der einstige Frankfurter Dezernent für multikulturelle Angelegenheiten, dass er bei Spielen zwischen Frankreich und Deutschland stets für La France halte. Aber das sei nur beim Fußball so, wendet er ein – er lebe sehr gerne in Deutschland. »Mein Ventil ist der Sport«, erzählt er. »Als kleines Kind bin ich mit dem französischen Fußball aufgewachsen. Ich bin weder Deutscher noch Franzose. Ich bin der französischte Deutsche und der deutscheste Franzose.«
Der »rote Dany«, wie er früher auch genannt wurde, kam 1945 im südwestfranzösischen Montauban zur Welt; seine Eltern waren vor den Nazis aus Deutschland geflohen, der Vater war ein linker Anwalt. Cohn-Bendit selbst sagte einmal, er sei im Sommer der Befreiung gezeugt worden - 1944 landeten die alliierten Streitkräfte beim D-Day in der Normandie.
Cohn-Bendit wurde nie Minister, denn er wollte seine Freiheit behalten.
Er machte an der hessischen Odenwaldschule Abitur und studierte in Frankreich Soziologie. 1968 verwies die französische Regierung den Sprecher der Pariser Mai-Revolution und vermeintlichen Unruhestifter des Landes. Erst zehn Jahre später wurde das Einreiseverbot aufgehoben.
Ein halbes Jahrhundert später findet der einstige Revolutionär in der trutzigen Pariser Machtzentrale Élyséepalast Gehör. Debatten mit dem impulsiven Staatschef Macron laufen mitunter hitzig ab: »Ich kann ihm die härteste Kritik entgegenbringen, und er nimmt das immer an. Manchmal sagt er dann: »Du spinnst!«, oder ich sage: »Du spinnst!««
Élyséepalast Dem Reformer Macron fehle die Erfahrung mit sozialen Bewegungen, resümiert Cohn-Bendit. Zudem sei der 42-Jährige in einem autoritären, vom Weltkriegshelden Charles de Gaulle geschaffenen Präsidentschaftssystem gefangen. Entweder man existiere und führe im Élyséepalast, dann sei man wie der Konservative Nicolas Sarkozy oder Macron. Oder man existiere nicht, dann schneide man ab wie Macrons glückloser sozialistischer Vorgänger François Hollande - so lautet die schonungslose Analyse des Alt-1968ers.
Die Corona-Pandemie läutet seiner Einschätzung nach ein Wendejahr ein.
Cohn-Bendit wurde im Gegensatz zu seinem früheren WG-Kumpel und Grünen-Toppolitiker Joschka Fischer nie Minister, denn er wollte seine Freiheit behalten. Über zwei Jahrzehnte hinweg saß er für die Grünen im Europaparlament. Ein langjähriger Frankfurter Wegbegleiter, der Grünen-Politiker Tom Koenigs, nennt Cohn-Bendit einen stets sehr fröhlichen Politiker. »Seine hervorstechende Eigenschaft: Er ist sehr generös«, sagt der frühere Bundestagsabgeordnete.
Kritik Der hitzige Rhetoriker Cohn-Bendit hat auch einen Hang zur Provokation – und bekam Schattenseiten deutlich zu spüren. Seine nunmehr über 40 Jahre alten umstrittenen Äußerungen über Intimitäten mit Kindern, von denen er sich wiederholt distanzierte, sorgten vor der Verleihung des Theodor-Heuss-Preises 2013 für heftige Proteste. Nach der scharfen Kritik verzichtete Cohn-Bendit dann auf den Deutsch-Französischen Medienpreis.
Die Corona-Pandemie läutet seiner Einschätzung nach ein Wendejahr ein. »Aber die Symbolik ist verheerend«, bilanziert er. »1968 war die Wirtschaft lahmgelegt. Alle waren draußen.« Nun sei es umgekehrt: Alle seien drinnen. Sein Projekt für das Ausnahmejahr? Ein Film, der sich mit seiner jüdischen Identität beschäftigt. »Die jüdische Gemeinde in Frankfurt will ihn bei ihrem Filmfestival im Herbst zeigen, mit deutschen Untertiteln.« In Frankreich solle der Streifen bei einem TV-Sender laufen, in Deutschland habe sich hingegen noch kein Sender gefunden.