1931 war die vielversprechende musikalische Karriere des 1897 in München geborenen Komponisten, Pianisten und Dirigenten Paul Frankenburger in Deutschland beendet. Ein Jude als Erster Kapellmeister des Augsburger Opernorchesters schien schon zwei Jahre vor Hitlers Machtergreifung ein No-Go für die Kulturlandschaft in der schwäbischen Metropole gewesen zu sein. Das Beschäftigungsverhältnis wurde aufgelöst. Die Zukunft des Musikers in Deutschland war verbaut.
Im Zuge der fünften Alija kommt Frankenburger 1933 nach Tel Aviv. Der Sohn des renommierten Juristen Heinrich Frankenburger nennt sich fortan auf Hebräisch Ben-Haim. Mit der Zeit ändert sich auch seine Tonsprache. Sie knüpft bei dem im »alten« Europa Erlernten an und verhehlt nicht die spätromantische Prägung von Gustav Mahler, Hugo Wolf oder Richard Strauss.
KLANGFARBEN Doch sie bindet auch das ein, was ihn in der neuen Heimat umfängt: die Klangfarben des Orients und der sefardischen Tradition, die Melancholie und die Leichtigkeit des Lebens am Meer, die Wut und die Trauer über die Schoa, die Hoffnung auf einen Neuanfang in Eretz Israel, literarische Inspirationen. Kurzum: Paul Ben-Haim findet für sich neue Ausdrucksmöglichkeiten – und auch für die israelische Nation.
An die Schnittstelle dieses Prozesses führt die Bayerische Kammerphilharmonie mit ihrer jüngsten CD-Produktion. Das renommierte Orchester hat unter Leitung seines Konzertmeisters Gabriel Adorján vier Stücke von Ben-Haim (nicht nur) für Streicher eingespielt. Concerto for Strings (1947), Pastorale Variée (1945/1962), Three Songs without Words (1952) und Music for Strings (1955/56) sind vier ausgewählte, klangschöne Werke aus einem reichen musikalischen Schaffen.
RESPEKT Ganz gleich, ob bei den zwei Werken für Streicher pur oder den beiden Kleinoden für Streicher und Solisten, immer ist zu hören und zu spüren, mit welch großem und auch liebevollem Respekt sich die Bayerische Kammerphilharmonie diesen Arbeiten Ben-Haims angenähert hat. Die Unmittelbarkeit des mal kantig-rauen, mal sphärisch-zarten, dabei stets dynamisch und rhythmisch ausgefeilten gemeinsamen Musizierens nimmt gefangen. Es sind vielschichtig erzählte Geschichten in kräftigen musikalischen Farben, Episoden ohne Worte, die beim Zuhören packen und anrühren.
Mit großer Virtuosität und enormer klanglicher Variabilität passen sich Bettina Aust (Klarinette), Christine Steinbrecher (Harfe) und Talia Or (Sopran) ein in dieses intensive, leidenschaftliche Spiel. Wer die Konzerte im Jahr des 125. Geburtstags von Paul Ben-Haim nicht hat besuchen können, wird mit diesen Studioaufnahmen aufs Vortrefflichste entschädigt. Der Komponist von mehr als 250 Werken starb am 14. Januar 1984 in Tel Aviv. Seine Musik atmet, sie lebt.
Paul Ben-Haim: »Music for Strings«. Mit Bettina Aust (Klarinette), Talia Or (Sopran), Bayerische Kammerphilharmonie unter der Leitung von Gabriel Adorján. CAvi-music, Köln 2022, 19,99 €