Herr Wiese, Sie haben kürzlich an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main das Buber-Rosenzweig-Institut gegründet. Wofür stehen die beiden Namensgeber?
Franz Rosenzweig war einer der Ersten, die in den 1920er-Jahren für ein Lektorat im Bereich der Jüdischen Studien an der Frankfurter Universität vorgesehen waren. Als er dann erkrankte, wurde Martin Buber ernannt. Rosenzweig und Buber stehen für eine Dialogphilosophie, die auch heute noch bedeutsam ist. Sie stehen zudem für das Freie Jüdische Lehrhaus und somit für eine Anknüpfung an die reiche Tradition Frankfurter jüdischer Geschichte und Kultur im frühen 20. Jahrhundert. Martin Bubers Name signalisiert auch den Abbruch dieser Geschichte, der symbolisch in seiner Entlassung 1933 und seiner erzwungenen Emigration 1938 zum Ausdruck kommt.
Welche neuen Möglichkeiten eröffnet das Institut im Vergleich zu der Martin-Buber-Professur, die Sie seit 2010 an der Universität Frankfurt bekleiden?
Natürlich wird das Institut in großer Kontinuität zur Wirksamkeit der Martin-Buber-Professur arbeiten. Wir haben, wie etwa die vielen Konferenzen zeigen, schon in den vergangenen Jahren wie ein Institut gearbeitet. Das werden wir fortführen. Als Institut sind jedoch noch in weit intensiverem Maße Kooperationen möglich. Und auch bei Forschungsanträgen ist der Status als Institut von großem Vorteil.
Welche Forschungsprojekte sind am Institut angesiedelt?
Im April beginnt ein für 24 Jahre bewilligtes digitales Projekt zu den Korrespondenzen Martin Bubers, die im Archiv in Jerusalem liegen. Es ist ein großes Vorhaben zur Geistes- und Kulturgeschichte und zu den Intellektuellen- und Gelehrtennetzwerken des Philosophen. Ein weiteres Forschungsprojekt ist das Synagogen-Gedenkbuch für das Land Hessen. Es soll ein vierbändiges Werk entstehen, das über 400 Synagogen dokumentiert, die bis 1933 auf dem Gebiet des heutigen Hessen Bestand hatten. Wir hoffen derzeit auf die endgültige Bewilligung dieses Projekts.
Sind weitere internationale Forschungskooperationen angedacht?
Mit der Hebräischen Universität in Jerusalem und der Universität Tel Aviv arbeiten wir seit Langem sehr eng zusammen. Gerade mit diesen Institutionen – dem Franz Rosenzweig Center in Jerusalem und verschiedenen Instituten der Universität in Tel Aviv – werden wir in Zukunft noch weit stärker kooperieren. Enge Kooperationen verbinden uns aber auch mit der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva, der Bar-Ilan-Universität und der Israelischen Nationalbibliothek. Zudem bestehen intensive Kontakte nach England und in die USA.
Möchten Sie verstärkt internationale Studierende und Forscher anziehen?
Die Martin-Buber-Professur hat eine lange Tradition von Fellows aus verschiedenen Disziplinen, die vor allem aus Israel, aber auch aus den USA nach Frankfurt gekommen sind. Es kamen aber noch keine Studierenden. In Zukunft möchten wir zusammen mit der Universität Tel Aviv einen gemeinsamen Masterstudiengang in Interreligiösen Studien etablieren. Der Studiengang soll die Beziehungen zwischen Judentum, Christentum und Islam zum Gegenstand haben.
Warum fokussiert sich das Institut auf die Erforschung jüdischer Kultur der Moderne und Gegenwart?
Dieser Fokus hat mit meiner eigenen Spezialisierung zu tun. Ich forsche hauptsächlich zur modernen jüdischen Geistes- und Kulturgeschichte seit dem 18. Jahrhundert. Begründet ist das aber auch durch eine sinnvolle Arbeitsteilung an der Goethe-Universität. Das Seminar für Judaistik, mit dem ich eng verbunden bin, konzentriert sich schwerpunktmäßig auf die Zeit des rabbinischen Judentums, das Mittelalter und die Frühe Neuzeit. Das Fritz-Bauer-Institut für Holocaustforschung hat noch einmal einen anderen Akzent. Alle drei Institutionen werden einander sehr gut ergänzen.
Wie erforschen Sie die jüdische Kultur der Gegenwart?
Diese Forschung geschieht nicht im Elfenbeinturm. Ein großer Teil meiner Forschungen und der Arbeit des Instituts widmet sich Fragen des interreligiösen und interkulturellen Dialogs. Die Frage des Antisemitismus spielt eine große Rolle. Auch die deutsch-israelischen Beziehungen und Fragen jüdischer Ethik sind Gegenstand unserer Forschungsaktivitäten.
Kann Ihre Forschung Anstöße für den Umgang mit dem Antisemitismus liefern?
Als Forschungsinstitut können wir zunächst einmal ein Diskussionsforum bilden – und tun es auch, vor Kurzem etwa in einer Ringvorlesung über Religion und Gewalt, in der Diskussionen über antisemitische Haltungen eine wichtige Rolle spielten. Wir forschen aber auch konkret zu Antisemitismus. Einer meiner Schwerpunkte ist die Untersuchung christlicher Formen von Antisemitismus in der Vergangenheit und Gegenwart. Ich bin zudem bisweilen Ansprechpartner etwa für den Antisemitismusbericht der Bundesregierung oder andere Anfragen.
Wie wichtig sind für Ihre Forschungsarbeit und die Arbeit des Instituts Kontakte zu jüdischen Institutionen?
Im Rahmen der Martin-Buber-Professur haben wir mit dem Jüdischen Museum Frankfurt und der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden in Deutschland eng zusammengearbeitet. Mit der Jüdischen Gemeinde Frankfurt haben wir schon gemeinsame Veranstaltungen organisiert. Das möchte ich gerne fortsetzen.
Sehen Sie andere deutsche Forschungsinstitute für jüdische Geschichte und Kultur als Partner?
Ich arbeite mit den meisten dieser Institute schon zusammen: etwa mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, aber auch mit dem Hamburger Institut für die Geschichte der deutschen Juden und dem Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung. Mit dem Leipziger Simon-Dubnow-Institut verbindet mich ein gemeinsames Editionsprojekt. Mit dem Selma-Stern-Zentrum für jüdische Studien in Berlin-Brandenburg entwickeln wir gerade ein gemeinsames Projekt zur jüdischen Geistesgeschichte in der Nazizeit. Man kann in diesem Fach nur durch Kooperationen gute Forschung machen.
Wann hat das Buber-Rosenzweig-Institut seine Arbeit aufgenommen?
Das Institut ist offiziell am 8. Februar, an Martin Bubers Geburtstag, gegründet worden. Es hat eine gültige Satzung und verfügt über Räume an der Universität. Auf die nächsten Jahre hin werde ich dieses Institut leiten und gestalten – parallel zur Martin-Buber-Professur.
Wie finanziert sich das Institut?
Es finanziert sich zunächst vollkommen aus den eingeworbenen Projekten. Eine infrastrukturelle Finanzierung seitens der Universität oder einer anderen Seite gibt es bisher nicht. Ziel muss es in Zukunft sein, zumindest für die Koordination des Instituts, die Schriftenreihen oder für Konferenzen weitere Mittel einzuwerben.
Was bedeutet die Gründung des Instituts Ihnen persönlich?
Ich bin vor zehn Jahren aus England, wo ich ein Institut für deutsch-jüdische Geschichte geleitet habe, nach Frankfurt gekommen – mit dem Ziel, hier ein Institut aufzubauen, das sich der jüdischen Geistes- und Kulturgeschichte der Moderne widmet. Die Gründung des Buber-Rosenzweig-Instituts ist die Verwirklichung meines persönlichen Traums, die Forschung, die mir so am Herzen liegt, zu institutionalisieren.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Arbeit des Instituts aus?
Ich finde es bitter, dass die Gründung des Instituts ausgerechnet in einem solchen Jahr geschieht. Wir hätten sehr gern bald eine feierliche Eröffnung des Instituts in Präsenz möglich gemacht. Ich hatte eine Konferenz zu Martin Buber in Frankfurt geplant. Im Oktober sollte ein großer Kongress zu Franz Rosenzweig stattfinden, 100 Jahre nach dem Erscheinen seines »Stern der Erlösung«.
Wie gehen Sie mit den Umständen um?
Wir werden damit kreativ umgehen und Teile unseres Programms hybrid veranstalten, sofern das möglich ist. Die jährliche Martin-Buber-Vorlesung wurde schon 2020 im Internet gestreamt und hatte eine weltweite Resonanz. Das Bitterste ist, dass wir als Team nicht persönlich, sondern nur virtuell zusammenkommen können. Das gemeinsame Denken und Planen von Angesicht zu Angesicht vermissen wir enorm. Wir hoffen, dass im Laufe des Jahres oder spätestens im kommenden Jahr wieder Normalität einkehren wird.
Mit dem Inhaber der Martin-Buber-Professur und geschäftsführenden Direktor des Buber-Rosenzweig-Instituts sprach Eugen El.