1993 stieß der amerikanische Hobbyhöhlenforscher Christopher Nicola in der westukrainischen sogenannten Priestergrotte auf Spuren von Menschen – Schuhe, Knöpfe und einen Kamm. Nicola fand heraus, dass sich von 1943 bis 1944 38 Juden über 500 Tage lang in dieser Grotte versteckt hielten und, so wie insgesamt nur fünf Prozent der über 1,5 Millionen ukrainischen Juden, die Schoa überlebten. Die vom Fernsehen kommende Regisseurin Janet Tobias hat aus diesem Stoff nun ein Dokudrama gedreht, das diese Woche in den Kinos anläuft: No Place on Earth.
TV-ästhetik Tobias konnte einige Überlebende, die als Kinder und Jugendliche in der Höhle gehaust hatten, in Kanada ausfindig machen. Der bei den Dreharbeiten 91-jährige Saul Stermer und sein etwas jüngerer Bruder Sam erweisen sich als wunderbare Geschichtenerzähler. Aber leider vertraut Janet Tobias diesen beiden so fotogenen Protagonisten ebenso wenig wie den anderen, meist weiblichen Überlebenden. Stattdessen setzt sie auf das aus dem Fernsehen so erprobte wie zweifelhafte »Re-enacting«, das Nachstellen von Szenen durch Schauspieler.
Man hört aus dem Off die Überlebenden berichten, dass es in der Grotte dunkel, nass und matschig war, und sieht dazu, wie sich die Darsteller durch den Matsch wühlen. Diese falsche Theatralik wirkt nicht nur ungelenk, sondern erreicht genau das Gegenteil des Beabsichtigten. Man geht emotional auf Distanz, kann sich weniger mit den Figuren identifizieren.
Regelrecht ärgerlich ist der manipulative Einsatz von melancholischen Geigen- und Klaviermelodien. So wird diese einmalige Geschichte jüdischen Überlebenswillens auf ein kitschiges Rührstück reduziert.
lücken Eine gute Idee hat Janet Tobias dann lobenswerterweise doch noch. Am Ende sieht man die Überlebenden mit ihren Familienangehörigen wieder in die Grotte zurückkehren. Leider bleiben vor allem historische Bezüge offen. Wie kam es, dass Juden in diesem Teil der Westukraine bis 1942 noch im Dorf lebten? Was geschah mit den 38 Überlebenden nach ihrer Befreiung durch die Rote Armee? Wann und warum wanderten sie nach Kanada aus? Der Antisemitismus der Ukrainer wird durchaus thematisiert, aber nicht weiter vertieft.
So bleibt eine wirklich beeindruckende Geschichte mit sehenswerten Erzählern, die immer wieder für kleine Highlights sorgen. Doch es gehört zu jeder guten Geschichte auch eine optimale ästhetische Umsetzung. Dieses auch von deutschen Sendeanstalten produzierte Dokudrama aber enttäuscht nicht nur formal, sondern erkennt das Kinopotenzial der Story leider nicht. Hier wurde die Chance vertan, ein unbekanntes Kapitel des Überlebens der Schoa filmisch überzeugend umzusetzen.