Sie ist berüchtigt und beschäftigte bereits Gerichte: Die sogenannte Judensau an der Wittenberger Stadtkirche ist die wohl bekannteste Schmähplastik an einem christlichen Gotteshaus in Deutschland, doch sie ist bei Weitem nicht die einzige. Wie soll man mit solchen antisemitischen Skulpturen und Bildern an und in Kirchen umgehen?
Diese seit Längerem kontrovers diskutierte Frage stand im Fokus einer Fachtagung, zu der die Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt und der Evangelischen Akademie zu Berlin einlud.
Die »Bilderverbot?!« betitelte Tagung fand vom 7. bis 9. November in Berlin statt und umfasste Vorträge mit anschließender Diskussion ebenso wie Workshops und Podiumsgespräche.
GRUSSWORT In seinem Video-Grußwort zum Tagungsauftakt sagte Zentralratspräsident Josef Schuster: »Zu Recht führte die Forderung nach Abnahme des antisemitischen Reliefs an der Wittenberger Stadtkirche zu einer bundesweiten Debatte darüber, was der richtige Umgang mit diesen Skulpturen sein kann.«
Die Skulpturen von den Kirchen schlicht zu entfernen, greife zu kurz: »Denn antijüdische Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen, indem man die steinernen Reliefs abschlägt und glättet.«
Yael Kupferbergs Ausführungen zogen eine lebhafte Diskussion nach sich.
Eine Entfernung solcher Plastiken würde zudem »die Phänomene des Antisemitismus, die weiter bestehen, verkennen«. Es bedürfe vielmehr der Aufklärung über die Hintergründe dieser Schmähplastiken, so Schuster. Es gehe darum, aus diesen Zeitzeugnissen gemeinsam zu lernen, ergänzte Doron Kiesel, Wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung.
Er betonte zugleich die Chancen und Potenziale der interreligiös und interdisziplinär besetzten Tagung: »Solange die Evangelische Akademie und die Jüdische Akademie miteinander darüber reden, habe ich den Eindruck, dass diese Figuren, wie brutal, kränkend und verletzend sie auch sind, ihre Wirkung ein wenig verlieren.«
VORTRAG In ihrem Eröffnungsvortrag dachte die Literaturwissenschaftlerin Yael Kupferberg sowohl theoretisch als auch am Beispiel der Wittenberger Schmähplastik über »bildhafte Aneignung von Welt« nach. Die christliche Kultur habe im Laufe der Jahrhunderte das biblische Bilderverbot aufgeweicht und eine ausgeprägte Bildkultur, gar einen »regelrechten Bildkult« entwickelt. Als Zugang zur Welt sei das Bild, so Kupferberg, eine tendenziell affirmative, gläubige und unkritische Haltung.
»Das Relief an der Wittenberger Stadtkirche begehrt den distanzlosen Blick«, argumentierte sie. Die »Judensau« richte sich gegen das Geistige und diene der »Wiedereinsetzung des Körpers«. Der sich dort vollziehende Antisemitismus verspreche Lustgewinn. »Antijüdische Bilder in und an Kirchen können als Angebot gelten, für Unlusterfahrung und Triebverzicht entschädigt zu werden«, fasste Kupferberg ihre These zusammen.
Der Blick auf das Schmährelief setze heute ein aufgeklärtes Subjekt voraus, das der Verführung standhalte, betonte sie und mahnte eine »Aufklärung der Bildkultur« an. Es sei wichtig, Bilder kritisch und distanziert lesen zu können: »Weil wir in einer Welt leben, die sehr viele Bilder produziert.«
Kupferbergs Ausführungen zogen eine lebhafte Diskussion nach sich. Eine Teilnehmerin kritisierte deren Bildskepsis und mahnte, »das Wort zum Bild« nicht aus dem Blick zu verlieren.
»Die Fixierung auf das Bild umfasst nicht die Bandbreite christlich-kulturellen Agierens«, wandte auch Doron Kiesel ein. Die Wirkung von Wort und Schrift sei nicht zu unterschätzen: »Selbst wenn wir all diese Schmähskulpturen vergessen, würde der Antisemitismus weiterwirken.«