Tagung

Verletzende Figuren

»Judensau«-Relief an der Stadtkirche Wittenberg Foto: Gregor Zielke

Sie ist berüchtigt und beschäftigte bereits Gerichte: Die sogenannte Judensau an der Wittenberger Stadtkirche ist die wohl bekannteste Schmähplastik an einem christlichen Gotteshaus in Deutschland, doch sie ist bei Weitem nicht die einzige. Wie soll man mit solchen antisemitischen Skulpturen und Bildern an und in Kirchen umgehen?

Diese seit Längerem kontrovers diskutierte Frage stand im Fokus einer Fachtagung, zu der die Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche in Deutschland, dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt und der Evangelischen Akademie zu Berlin einlud.

Die »Bilderverbot?!« betitelte Tagung fand vom 7. bis 9. November in Berlin statt und umfasste Vorträge mit anschließender Diskussion ebenso wie Workshops und Podiumsgespräche.

GRUSSWORT In seinem Video-Grußwort zum Tagungsauftakt sagte Zentralratspräsident Josef Schuster: »Zu Recht führte die Forderung nach Abnahme des antisemitischen Reliefs an der Wittenberger Stadtkirche zu einer bundesweiten Debatte darüber, was der richtige Umgang mit diesen Skulpturen sein kann.«

Die Skulpturen von den Kirchen schlicht zu entfernen, greife zu kurz: »Denn antijüdische Geschichte lässt sich nicht ungeschehen machen, indem man die steinernen Reliefs abschlägt und glättet.«

Yael Kupferbergs Ausführungen zogen eine lebhafte Diskussion nach sich.

Eine Entfernung solcher Plastiken würde zudem »die Phänomene des Antisemitismus, die weiter bestehen, verkennen«. Es bedürfe vielmehr der Aufklärung über die Hintergründe dieser Schmähplastiken, so Schuster. Es gehe darum, aus diesen Zeitzeugnissen gemeinsam zu lernen, ergänzte Doron Kiesel, Wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung.

Er betonte zugleich die Chancen und Potenziale der interreligiös und interdisziplinär besetzten Tagung: »Solange die Evangelische Akademie und die Jüdische Akademie miteinander darüber reden, habe ich den Eindruck, dass diese Figuren, wie brutal, kränkend und verletzend sie auch sind, ihre Wirkung ein wenig verlieren.«

VORTRAG In ihrem Eröffnungsvortrag dachte die Literaturwissenschaftlerin Yael Kupferberg sowohl theoretisch als auch am Beispiel der Wittenberger Schmähplastik über »bildhafte Aneignung von Welt« nach. Die christliche Kultur habe im Laufe der Jahrhunderte das biblische Bilderverbot aufgeweicht und eine ausgeprägte Bildkultur, gar einen »regelrechten Bildkult« entwickelt. Als Zugang zur Welt sei das Bild, so Kupferberg, eine tendenziell affirmative, gläubige und unkritische Haltung.

»Das Relief an der Wittenberger Stadtkirche begehrt den distanzlosen Blick«, argumentierte sie. Die »Judensau« richte sich gegen das Geistige und diene der »Wiedereinsetzung des Körpers«. Der sich dort vollziehende Antisemitismus verspreche Lustgewinn. »Antijüdische Bilder in und an Kirchen können als Angebot gelten, für Unlusterfahrung und Triebverzicht entschädigt zu werden«, fasste Kupferberg ihre These zusammen.

Der Blick auf das Schmährelief setze heute ein aufgeklärtes Subjekt voraus, das der Verführung standhalte, betonte sie und mahnte eine »Aufklärung der Bildkultur« an. Es sei wichtig, Bilder kritisch und distanziert lesen zu können: »Weil wir in einer Welt leben, die sehr viele Bilder produziert.«

Kupferbergs Ausführungen zogen eine lebhafte Diskussion nach sich. Eine Teilnehmerin kritisierte deren Bildskepsis und mahnte, »das Wort zum Bild« nicht aus dem Blick zu verlieren.

»Die Fixierung auf das Bild umfasst nicht die Bandbreite christlich-kulturellen Agierens«, wandte auch Doron Kiesel ein. Die Wirkung von Wort und Schrift sei nicht zu unterschätzen: »Selbst wenn wir all diese Schmähskulpturen vergessen, würde der Antisemitismus weiterwirken.«

Bochum

Ausstellung von »Guernica-Gaza« abgesagt

Der Bilderzyklus von Mohammed Al-Hawajri ist wegen Antisemitismusvorwürfen umstritten

 07.09.2024

Speyer/Mainz/Worms

SchUM-Städte laden zu jüdischen Kulturtagen ein

Vorträge, Konzerte, Filme, Ausstellungen und Diskussionen stehen auf dem Programm

 06.09.2024

Literatur

Immer voller Zweifel

Lena Goreliks Poetik-Vorlesung in Hannover liegt nun auch als Buch vor – ihre Einblicke wirken nicht akademisch, sondern lebensklug

von Alexander Kluy  05.09.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  05.09.2024

Milch

Land der Superkühe

Hightech, Kraftfutter und dreimal Melken am Tag: Israels Rinder gehören zu den produktivsten der Welt. Das hat seinen Preis

von Ralf Balke  04.09.2024

Aufgegabelt

Melonen-Gurke-Eis

Rezepte und Leckeres

 04.09.2024

Filmfest

Von Adrien Brody bis Leni Riefenstahl

In Venedig feierten »The Brutalist« über einen jüdischen Architekten, eine Doku zur NS-Propagandistin und das Olympia-Attentats-Drama »September 5« Premiere

von Jens Balkenborg  04.09.2024

7. Oktober

Die gestohlenen Kinder

Unsere Redakteurin beschreibt, was die Ermordung der sechs Geiseln am vergangenen Wochenende bei ihr - und wahrscheinlich allen Eltern - auslöst

von Nicole Dreyfus  04.09.2024

Geheimnisse und Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  04.09.2024