Seit mehr als 20 Jahren analysiert Monika Schwarz-Friesel Judenfeindschaft verschiedenster Couleur. Nun legt die renommierte Kognitionswissenschaftlerin eine Analyse vor, die den Bogen von der Spätantike bis ins Deutschland des 21. Jahrhunderts schlägt.
Ihr Befund: Das »Gift judenfeindlichen Denkens und Fühlens« sei Teil unserer Kultur, antisemitische Sprachgebrauchsmuster würden bis heute von Generation zu Generation weitergegeben. Eine heilende Zäsur habe es laut Schwarz-Friesel nie gegeben, auch nach der NS-Diktatur und der Schoa nicht.
hass In ihrem neuen Buch Toxische Sprache und geistige Gewalt erklärt die Linguistik-Professorin der Technischen Universität Berlin auf komplexe und doch verständliche Weise, wie sprachliche Strukturen eigene Welten erschaffen, die wenig mit Realität und doch viel mit Hass zu tun haben.
Schwarz-Friesel ist eine Verfechterin der Textweltmodelltheorie (TWM), nach der sich Deutungsschemata bei Sprachverarbeitung im Kopf automatisch und reflexiv aufbauen. Das Gehirn eines Rezipienten unterscheide so »am Ende nicht, ob ein Neonazi, ein linker Journalist, ein Nobelpreisträger oder ein Professor Antisemitismen kommuniziert hat, ob diese intentional oder nicht intentional und in welcher Situation sie geäußert werden«.
Wenig Verständnis hat die Autorin für die verbreitete Scheu, judenfeindliche Äußerungen bei Mitgliedern von Minderheiten zu kritisieren, weil diese selbst Opfer von Diskriminierungen waren und sind.
Zugleich nimmt die Autorin uns mit auf einen fast 2000 Jahre umfassenden historischen Rekurs – und die Bilanz ist verheerend. Aus ursprünglicher Konkurrenz zwischen Christentum und Judentum wird die Hass-Rhetorik früher Kirchenväter wie Gregor von Nyssa und Augustinus später zehntausendfach von den Kanzeln gepredigt, bis nicht nur das einfache Volk, sondern auch geistige Eliten und neue Meinungsbildner das Gift der Judenfeindschaft verinnerlicht haben.
israelfeindschaft Eine besondere Stärke des Buches ist die Fülle von Beispielen, an denen sich die verhängnisvolle Mischung von antijüdischem Vorurteil, aversiven Reflexen und Bagatellisierung von Juden- und Israelfeindschaft ablesen lässt.
Hier sieht die Autorin auch die Medienberichterstattung in der Mit-Verantwortung und schreibt: »Wenn dann viel gelesene Journalisten das alte Klischee der jüdischen Rachsucht und Machtausübung sowie den ›Kreislauf der Rache‹ bedienen, Gaza metaphorisch mystifiziert ›einen Ort aus der Endzeit des Menschlichen‹ nennen, in Talkshows gern eingeladene Publizisten Gaza als ›weltgrößtes Konzentrationslager‹ und Israel geschichtsverfälschend als ›europäische Kolonie auf arabischem Boden‹ bezeichnen, erhält die Leser- und Zuschauerschaft genau den Stoff, aus dem Antisemitismus fabriziert ist.«
Was bleibt, um der toxischen Sprache den Kampf anzusagen? Die Autorin plädiert für eine »kommunikative Ethik«, die die Macht und das Gewaltpotenzial von Sprache berücksichtigt und bei aller benötigten Meinungsfreiheit dann Einspruch erhebt, wenn giftige und vergiftende Wörter ins Spiel kommen.
Wenig Verständnis hat die Autorin für die verbreitete Scheu, judenfeindliche Äußerungen bei Mitgliedern von Minderheiten zu kritisieren, weil diese selbst Opfer von Diskriminierungen waren und sind. »Wie oft ducken sich die Vertreter der öffentlichen Meinung über klar antisemitische Äußerungen von Muslimen oder Schwarzen hinweg, thematisieren sie nicht als das, was sie sind.« Das sei, so Schwarz-Friesel schließlich, »Eyes wide shut«.
Monika Schwarz-Friesel: »Toxische Sprache und geistige Gewalt«. Narr Francke Attempto, Tübingen 2022, 228 S., 17,99 €