Leise tönt Musik durch den Raum. Inmitten von Bildern, die Szenen aus dem Konzentrationslager Auschwitz zeigen, singt Gloria Gaynor ihren Hit »I Will Survive«. Der Song gehört zum Video »Dancing Auschwitz« der australischen Künstlerin Jane Korman.
Sie hat mit ihrem Vater, dem Schoa-Überlebenden Adolk Korman, Stätten von Nazi-Verbrechen besucht: Auschwitz, Dachau, Lodz. Dann haben sie dort getanzt und sich dabei gefilmt. Vor fünf Jahren löste das Video auf YouTube heftige Diskussionen aus. Heute ist es im Zentrum für verfolgte Künste in Solingen zu sehen.
Überleben Der Film – Teil einer von insgesamt drei Sonderausstellungen, die nun zur Eröffnung des Zentrums gezeigt werden – bringt zugleich die Botschaft des neuen Museums auf den Punkt: Der Tod hat nicht das letzte Wort. Natürlich kann und muss nicht jeder Kormans Einstellung teilen. Aber es berührt zutiefst, wie der damals 89-Jährige mit Disco-Tanzschritten sein Statement setzt: Ich habe überlebt, lasst uns tanzen!
»Der Tod hat nicht das letzte Wort«, sagte auch Bundestagspräsident Norbert Lammert bei der Eröffnung des Zentrums für verfolgte Künste in der vergangenen Woche. Er setzte hinzu: »In den Künsten schon gar nicht. Wir müssen nur ihr Überleben sichern.«
Damit richtete Lammert den Blick auch auf die Gegenwart. Das Museum soll ein Ort des Erinnerns sein, aber nicht in der Vergangenheit und ihren Schrecken verharren. »Denn Künstler werden immer noch verfolgt. Und oft werden die Verfolgten leider nur als Opfer der gegebenen Verhältnisse wahrgenommen, nicht aber als hervorragende Künstler.«
Provokation Darin klingt ein sehr wichtiger Punkt an. Immer noch wirkt auf viele Menschen die Erinnerung gerade an die Verbrechen in der NS-Zeit lähmend. Dem zu begegnen, wird eine Hauptaufgabe des Museums sein. Und zumindest in seinen ersten Sonderausstellungen zeigt es sich als ein Ort des offenen Diskurses, der auch Humor, Satire und Provokation – Stichwort »Dancing Auschwitz« – einschließt.
Graphic Novels sind ein zweiter, wichtiger Schwerpunkt der drei Sonderschauen. Lange haben insbesondere deutsche Autoren nicht erkannt, welche Möglichkeiten diese Kunstform in der Darstellung des Undarstellbaren bietet. Ähnlich wie im Puppentheater kaum ein Schmerz so groß ist wie der, den man einer Puppe zufügt, bietet die Abstraktion durch den optischen Stil eines Comiczeichners enorme emotionale Möglichkeiten.
Der israelische Karikaturist Michel Kichka etwa erzählt in seiner Graphic Novel Zweite Generation davon, wie er als Kind die vielen Andeutungen, das Unausgesprochene in seiner Familie wahrgenommen hat. Jetzt werden die Originalzeichnungen von Kichka unter dem Motto »Zweite Generation. Was ich meinem Vater nie gesagt habe« ausgestellt.
Familiengeschichte Kichkas Vater Henri hat Auschwitz überlebt und lange darüber geschwiegen. Aber die Vergangenheit war immer drückend präsent. Mit seiner Familiengeschichte hat es sich Kichka nicht leicht gemacht, bis er das Buch einfach zeichnen musste. Darin geht er schonungslos mit seinem Vater um, beschreibt auch dessen Wandlung vom Schweiger zum KZ-Reiseführer. Erstarrung vor den Opfern ist kein Respekt, sondern Unsicherheit und Angst. Erst der ehrliche Umgang führt in die Zukunft – auch davon erzählt die Schau.
Von der Gedenkstätte Yad Vashem Jerusalem kommt die Ausstellung »Spots of Light«, die sich ausschließlich Frauen während der Schoa widmet. Eine multimediale Präsentation, die einzelne Schicksale in den Mittelpunkt rückt. Denn Zahlen sind nicht wirklich greifbar und bringen keine emotionale Erkenntnis. Geschichten von Müttern, Ehefrauen, Freundinnen, Partisaninnen schon.
Ergänzt werden die Sonderschauen von der Dauerausstellung, die das Rückgrat des neuen Zentrums bildet. Sie präsentiert die »Literatursammlung Jürgen Serke« wie die Kunstsammlung von Gerhard Schneider, der viele Werke von nach 1945 vergessenen Künstlern zusammengetragen hat.
Darunter Statuen der Bildhauerin Milly Steger, die am Anfang des 20. Jahrhunderts gleichrangig mit Ernst Barlach gehandelt wurde und die Fassade des Theaters Hagen mit vier nackten Frauenfiguren veredelt hat. Das war damals ein Skandal. Später wurde Steger von den Nazis verfemt und verfolgt. Vergessen ist sie – wie auch die vielen anderen Künstler im neuen Zentrum für verfolgte Künste – nicht.
Sonderausstellungen: Zentrum für verfolgte Künste Solingen, bis 24. Januar 2016