Herr Danquart, die Weltpremiere Ihres Films »Lauf, Junge, lauf« fand in Polen statt. Warum nicht im Februar auf der Berlinale?
Zum einen hatte sich die Berlinale gegen den Film entschieden. Zum anderen war das neu gebaute jüdische Museum in Warschau, gegenüber dem Mahnmal, vor dem es den berühmten Kniefall von Willy Brandt gab, der ideale Ort für die Weltpremiere eines solchen Filmes. Seit Januar kamen mehr als 100.000 Besucher in die polnischen Kinos, was für einen deutschen Film als Sensationserfolg gilt. Auch das internationale Interesse ist groß. »Lauf, Junge, lauf« ist bereits nach Amerika, Italien, Frankreich, Japan und Südkorea verkauft.
Das schwere Thema erinnert auf der Leinwand bisweilen an ein leichtes Tom-Sawyer-Abenteuer – wie kam es zu diesem Ansatz?
Meine Absicht war von Anfang an, eine zeitgemäße Herangehensweise zu finden. Ich wollte nicht noch einen weiteren Holocaust-Film machen mit all der Schwere, wie man sie schon oft gesehen hat. Stattdessen schildern wir den Überlebenskampf eines kleinen Jungen im Schatten dieses Grauens als Abenteuer im Stil von Huckleberry Finn. Das systematische Morden, die Schoa, das barbarische Treiben der Nazis wird – in der Spiegelung der Geschichte dieses kleinen, jüdischen Jungen in den Wäldern und Dörfern um Warschau herum – in jedem Bild miterzählt.
Diesen Bestseller wollten etliche Regisseure verfilmen, wie haben Sie den Zuschlag bekommen?
Yoram Fridman, auf dessen Lebensgeschichte der Roman basiert, hatte sich Filme von mir angesehen. Ausschlaggebend für ihn war meine Dokumentation »Nach Saison« über den Bosnienkrieg, davon war er so angetan, dass er der Meinung war, ich sei der richtige Regisseur, seine Geschichte ohne jenen Kitsch zu verfilmen, den er bei Hollywood-Produktionen vermutet hatte.
Wie groß war sein Einfluss auf die filmische Umsetzung?
Yoram hat mir völlig vertraut und sich in die Verfilmung nicht eingemischt. Er sah den Film erst bei der Premiere in Polen. Anschließend äußerte er gegenüber den Medien, der Film stimme »zu 95 Prozent mit seinen Erlebnissen« von damals überein. Yoram war mit seiner Familie angereist, alle hatten am Ende Tränen in den Augen, er legte seinen Arm um mich und sagte: »So war es. Hast du gut gemacht.«
Ihr junger Held wird von Zwillingen gespielt – wie kam es zu dieser Idee?
Das war Zufall. Als wir aus über 700 Kindern den passenden Darsteller gefunden hatten, überraschte der uns mit der Neuigkeit, noch einen Zwillingsbruder zu haben. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass äußerliche Ähnlichkeiten nicht auf dieselben Persönlichkeiten schließen lassen. Diese unterschiedlichen Charakterzüge der beiden konnten wir wunderbar für die Besetzung einsetzen. Zudem haben Zwillinge den praktischen Vorteil, dass man dadurch mit Kindern doppelt so lange drehen kann.
Wie würden Sie Ihre Absicht mit diesem Film beschreiben?
Ich möchte mit »Lauf, Junge, lauf« ein großes Kinoerlebnis bieten. Zudem soll der Film eine Verbeugung vor allen Kindern sein, die unschuldig unter Kriegen leiden. Insofern ist das nicht nur ein historischer Stoff, sondern er besitzt große Aktualität. Man muss nur an Syrien und Zentralafrika denken oder an die Schicksale all der Flüchtlingskinder auf der Welt.
Neben den Opfern zeigen Sie zugleich die unbekannten Helden. Mutige Menschen, die halfen, ohne je eine Anerkennung dafür zu bekommen.
Mir war wichtig zu zeigen, dass es nicht nur Helfer im Rampenlicht gegeben hat. Neben diesen großen Schindlers oder John Rabes gab es eben ganz einfache Menschen, die viel riskiert haben, um anderen zu helfen. Zugleich wollte ich zeigen, dass in jedem von uns das Gute und das Böse steckt. Das stellt die Frage, wie man selbst in solchen Situationen reagierte hätte: Würde man sein Haus anzünden lassen, um einen Jungen zu retten? Oder würde man ihn für eine Flasche Wodka abliefern?
Mit dem Regisseur sprach Dieter Oßwald.