Er war einer der letzten großen jüdischen Denker, die in Deutschland ihre Heimat und Wurzeln hatten. Hans Jonas stammte aus einer alten Fabrikantenfamilie in Mönchengladbach. Als er berühmt wurde, seine Bücher über das Prinzip Verantwortung oder über den Gottesbegriff nach Auschwitz von einem breiten Publikum zur Kenntnis genommen wurden, war er schon ein alter Mann. Wenige Wochen vor seinem Tod Anfang Februar 1993 umriss er noch einmal den Kern seiner Aussagen zum Verhältnis des Menschen zur Natur: »Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, dass Menschen auch zu Verstand und zu einer ethisch haltbaren Handlungsweise kommen.«
Die Lebensgeschichte dieses Philosophen ist von der Tragik des europäischen Judentums im 20. Jahrhundert gezeichnet. Jonas’ Mutter wurde von den Deutschen zunächst nach Lodz, dem damaligen Litzmannstadt, verschleppt und später in Auschwitz ermordet. Viele seiner Angehörigen erlitten ein ähnliches Schicksal. Im Alter hat er öfter davon gesprochen, mit jener leisen, stillen Trauer, die dem Zuhörer auch die schwierige Gratwanderung zwischen dem Wissen um das Ungeheuerliche und dem Glauben an die Güte eines Gottes kenntlich machte, dem Jonas die Allmacht absprach. Auschwitz wäre sonst aus der Perspektive von Hans Jonas unerklärlich. Seine metaphysische Vermutung ging davon aus, dass sich Gott von Anbeginn aus der Schöpfung zurückgezogen habe, um die Freiheit des im Urbeginn mit angelegten Geistes zu garantieren.
Bruch Kurz nach der Machtergreifung Hitlers, unmittelbar nach dem Boykott jüdischer Geschäfte vom 1. April 1933, emigrierte Jonas, zunächst nach London, später nach Palästina. Er hatte in Marburg bei Heidegger, Husserl und Bultmann studiert. Und noch 1934 – nach seinem Weggang – erschien in Deutschland sein berühmtes Frühwerk Gnosis und spätantiker Geist, seine erste große Studie einer universalen Glaubenskrise. Es war im Grunde ein intellektueller Rettungsversuch, der die nihilistische Gefahr in der Gnosis erkannte. Es war auch dieser Nihilismus, der später in die politische Hörigkeit Heideggers mündete (»Ich habe den Führer führen wollen.«), was bei Jonas zum Bruch mit dessen Philosophie führte, letztendlich aber auch die enge Freundschaft mit Hannah Arendt in den 60er-Jahren an ihr Ende brachte.
In Palästina betrieb Jonas aber nicht nur seine religionsgeschichtlichen Studien weiter. Als der Weltkrieg begann, schloss er sich einer jüdischen Brigade der britischen Armee an, brachte es als Artillerist bis zum Offizier und schwor bei sich, nach Europa nur als Soldat, als Sieger zurückzukehren.
Irgendwann in den 30er-Jahren muss Jonas darauf gestoßen sein, dass im Zusammenhang mit der Frage »Was ist das Sein?« an den Universitäten nie auf die Bedeutung der Naturwissenschaften und der Natur hingewiesen wurde. Die Philosophie schien das Thema zu übergehen. Jonas zitierte dann gerne Francis Bacons Ausspruch »Wissen ist Macht« und leitete daraus die Einsicht ab, dass sich die Menschheit im Fortschritt der Naturwissenschaften meistens selbst überrascht habe.
Gegenschrift Daraus ergaben sich Bedenken, die Jonas in jahrzehntelanger Arbeit in seinem berühmtesten Werk, dem 1979 erschienenen Prinzip Verantwortung, ausführte. Mit diesem Opus summum wandte er sich konsequent gegen den Glauben der Moderne an das Alles-Machbare. Das Buch wurde zu Recht auch als Antwort und Gegenschrift zu Ernst Blochs Prinzip Hoffnung verstanden. »Man darf nicht erst die Aussichten bewerten und daraufhin beschließen, ob man etwas tun soll oder nicht. Sondern umgekehrt, man muss die Pflicht und die Verantwortung erkennen und so handeln, als ob eine Chance da wäre, sogar, wenn man selber daran zweifelt.«
Angebote deutscher Universitäten hat Jonas stets abgelehnt. Deutschlands akademische Jugend wollte er nicht unterrichten. Er ging nach Kanada, erhielt 1955 einen Ruf als Professor an die New Yorker School for Social Research und lehrte dort bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1976. Später reise er häufig auch zu Vorträgen in die Bundesrepublik, aber heimisch ist er in Deutschland nie wieder geworden. Sein Prinzip Verantwortung ließ er nach jahrzehntelanger Distanz im Insel-Verlag erstmals auf Deutsch erscheinen. Hier hatte er auch seine Gedanken von der »Ethik der Befürchtung« und der »Heuristik der Furcht« entwickelt.
Erst durch die Abfolge von Katastrophen, durch die wachsende Empfindung von künftiger Bedrohung werde der Menschheit ein gewisses Maß an Sorgsamkeit gegenüber der ökologischen Gefährdung des Planeten abverlangt. Doch wusste Jonas eben auch, dass die Menschen von einem allgemeinen Bewusstsein dieser Art noch weit entfernt sind. Wie ein prophetischer Blick muten heute die Worte an, die Jonas in einem seiner letzten Interviews fand: »Meistens denke ich an die Zukunft meiner Kindeskinder mit Angst, aber nicht mit Verzweiflung. Ich glaube, es können schlimme Zeiten kommen.«