John Kander hat einen Lieblingskomponisten. Ja, genau, jener John Kander, der mit dem Musical Cabaret die Geschichte des Berliner Nachtlebens der 30er-Jahre in Musik getaucht hat, in dem ein Amerikaner, eine Kit-Kat-Klub-Sängerin, ein Jude und ein Nazi durch das Schicksal miteinander verbunden sind – 1966 am Broadway uraufgeführt, mit Lotte Lenya, später verfilmt mit der jungen Liza Minnelli, 1989 sogar auf Hebräisch am Theater HaBima in Tel Aviv aufgeführt.
Jener John Kander, Jahrgang 1927, der den Erfolg mit Chicago, einem Musical um die Vaudeville-Tänzerin Roxie im Amerika der 20er-Jahre fortsetzte – eine Parabel um Ruhm, Freiheit und Sehnsucht: sechs Tony-Awards und bis heute das populärste Stück am Broadway. John Kander, ein Urgestein jüdischen Lebens in den USA und Komponist von »New York, New York« – das es nur deshalb gibt, weil Robert de Niro bei einem Filmdreh mit der ersten Fassung nicht zufrieden war –, bekennt sich nun in einem Interview mit der »Welt« ausgerechnet zu Richard Wagner als seinem großen Vorbild – wie passt das zusammen?
eklektizismus Eigentlich ziemlich gut. Es war ein C-Dur-Akkord, den die Großmutter gemeinsam mit dem kleinen John am Klavier gegriffen hat, der ihn für die Musik brennen ließ. C-Dur, die Tonart der Meistersinger! Als Zweitklässler komponierte der jüdische John in den Mathestunden christliche Weihnachtslieder. Und später bediente er sich aller Elemente der Musikgeschichte: Leitmotive, romantische Schwelgerei, Jazz und Ragtime. Ein Eklektizismus, der auch dem Werk Wagners zugrunde liegt.
Vielleicht ist diese These etwas verwegen, aber wenn man sich Wagner, der gern in Seidenstoffen am Klavier saß, in Berlin und nicht in Bayreuth vorstellt – der Kit-Kat-Klub wäre sicherlich auch seine lustvolle, heimliche Heimat geworden. Kanders Musicals nehmen sich die Offenheit, die Wagner sich in seinen Opern versagte.
tournee Wenn Kanders Chicago dieser Tage nun erneut auf große Deutschland-Tournee geht, wird auch etwas anderes deutlich: Seine Musik ist längst klassisch. An der Oberfläche sind seine Songs beste Unterhaltung, darunter aber haben sie immer auch Haltung!
Besonders, wenn Kander mit seinem kongenialen Partner Fred Erb zusammengearbeitet hat, entstanden Stücke, in denen das Amalgam einer diversen Gesellschaft zum Brodeln gebracht wird, in der die ungezügelte Lust und die Leidenschaft sich mit Politik, dem Guten und dem Bösen verbinden. Kander feiert Gesellschaftstableaus, die vielen Menschen heute wieder Angst bereiten. Und statt eines Happy Ends führen sie regelmäßig in unsere Gegenwart, die wir mit seiner Musik vielleicht etwas beschwingter, nicht aber unbesorgter unter die Lupe nehmen können.
Tournee-Daten: Köln (4. bis 16. Juni), Frankfurt/Main (18. bis 23. Juni), Düsseldorf (25. bis 30. Juni), Berlin (3. bis 13. Juli), Linz (16. Juli bis 4. August), München (6. bis 11. August)