Frankfurt

Unter Linken

Demonstration gegen das Theaterstück »Der Müll, die Stadt und der Tod« von Rainer Werner Fassbinder (1975) Foto: dpa

Tom Uhlig, Brille und Viertagebart, drückt auf einen Knopf in einer Tafel. »Brecht die Macht der Banken und Konzerne!«, schreit es aus unsichtbaren Lautsprechern. Es ist ein Slogan, der auf Demonstrationen im linken Spektrum regelmäßig zu hören ist. Von den »Banken und Konzernen« ist es nur ein kleiner Schritt, die Bosse von Unternehmen, darunter auch reiche Juden, persönlich verantwortlich zu machen für allen Unbill des Kapitalismus.

Uhlig ist Kurator der Ausstellung Das Gegenteil von gut – Antisemitismus in der deutschen Linken seit 1968. Sie ist noch bis zum 27. September in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main zu sehen. Judenfeindlichkeit sei kein bloßes Vorurteil, sagt Uhlig bei der Eröffnung der Schau. Es sei ein Ressentiment, eine emotionale Art, die Welt zu verstehen.

REFLEX »Linker Antisemitismus ist die Form des Antisemitismus, die am wenigsten thematisiert wird«, sagt Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte. Unter Linken gebe es einen Reflex, jede Form von Ressentiment weit von sich zu weisen, weil man ja links sei und somit für eine Welt streite, in der Menschen verschieden sein dürften.

Die Ausstellung zeigt auf Texttafeln oder Interviewsequenzen, zum Beispiel mit dem Politologen und Historiker Ismael Küpeli oder mit der Politikerin Jutta Ditfurth, dass Linke in der Geschichte dennoch immer wieder hinter diesen Anspruch zurückfallen. Als Symbol des weltumspannenden Kapitalismus taucht auf Demonstrationen beispielsweise immer wieder der Krake auf.

»Linker Antisemitismus ist die Form des Antisemitismus, die am wenigsten thematisiert wird«, sagt Meron Mendel.

Dieses Tier habe als Symbol nicht nur für die Anwürfe der klassischen Judenfeindschaft von rechts herhalten müssen, sagte Uhlig. Das Symbol lege auch nahe, dass das System Kapitalismus auf das Wirken einer kleinen, reichen Minderheit zurückzuführen sei.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

UNGLEICHHEIT Beseitige man diese Minderheit, beseitige man damit auch soziale Ungleichheit. Dabei falle unter den Tisch, dass Kapitalismus eben nicht das Produkt von Klüngelei sei, sondern ein Beziehungsgeflecht, an dem jeder Konsument seinen Anteil habe, erläuterte Uhlig. In einem emotionalen Weltbild seien solche komplexen Zusammenhänge aber nur schwer darzustellen.

Uhlig will das demonstrieren und drückt einen weiteren Knopf, direkt unter dem ersten. »Brecht die Macht des Beziehungsgefüges Kapitalismus, an dessen Reproduktion wir jeden Tag unseren Anteil haben!«, ist jetzt zu hören. Der Kurator hebt die Schultern, grinst leicht. »Ist irgendwie nicht so griffig«, stellt er fest. Als Slogan für Demonstrationen also denkbar ungeeignet.

Ignatz Bubis ließ die Bezeichnung »Kapitalist« gelten, aber nicht »jüdischer Kapitalist«.

Die Ausstellungsmacher haben die Schau in mehrere »Räume« unterteilt. Jeder »Raum« umfasst einige Tafeln mit Texten, Interviews, denen die Besucher mit Kopfhörern folgen können, oder Fotos. Neben dem »Raum der Straße« gibt es den »Raum des Konsums« oder den »Raum des Wohnens«.

HAUSBESETZER Zum Wohnen findet die Ausstellung direkt in Frankfurt am Main genug Anschauungsmaterial. Denn hier war einer der Schwerpunkte der Hausbesetzerszene in den 70er- und 80er-Jahren. Und sie hatte ihre Vorstellungen davon, welcher Religion die Spekulanten angehörten, denen man die Wohnungsnot zu verdanken habe.

Ignatz Bubis, Frankfurter Immobilienkaufmann und später Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, wusste, gegen welche Argumentation er sich wehrte, als er sagte, er lasse sich ja gern als »Kapitalisten« beschimpfen. Aber nicht als »jüdischen Kapitalisten«.

Ebenfalls in Frankfurt am Main sorgte im Jahr 1975 ein Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder für Aufregung. In Der Müll, die Stadt und der Tod taucht die Figur des »reichen Juden« auf, die noch nicht einmal einen eigenen Namen hat, sich aber durch Gier und Triebhaftigkeit auszeichnet. Im »Raum der Kultur« ist der Streit um das Stück nachzuvollziehen.

»Der linke Judenhass scheint derzeit zu gedeihen«, sagt Kurator Uhlig.

Im »Raum der Universität« geht es um akademischen Antisemitismus. »Er scheint derzeit zu gedeihen«, sagt Kurator Uhlig und nennt den Fall der Holocaust-Überlebenden Deborah Weinstein. Sie war vor knapp zwei Jahren während einer Podiumsdiskussion an der Berliner Humboldt-Universität von studentischen Aktivisten der israelfeindlichen BDS-Bewegung niedergebrüllt worden, die damit gegen den jüdischen Staat protestieren wollten.

Öffnungszeiten der Ausstellung: montags bis freitags, 14 bis 17 Uhr, sonntags 12 bis 18 Uhr

TV-Spielfilm

ARD dreht prominent besetztes Dokudrama zu Nürnberger Prozessen

Nazi-Kriegsverbrecher und Holocaust-Überlebende in einem weltbewegenden Prozess: Zum 80. Jahrestag dreht die ARD ein Drama über die Nürnberger Prozesse - aus der Sicht zweier junger Überlebender

 31.03.2025

Porträt

»Das war spitze!«

Hans Rosenthal hat in einem Versteck in Berlin den Holocaust überlebt. Später war er einer der wichtigsten Entertainer Westdeutschlands. Zum 100. Geburtstag zeigt ein ZDF-Spielfilm seine beiden Leben

von Christof Bock  31.03.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  31.03.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  31.03.2025

Todestag

Wenn Worte überleben - Vor 80 Jahren starb Anne Frank

Gesicht der Schoa, berühmteste Tagebuch-Schreiberin der Welt und zugleich eine Teenagerin mit alterstypischen Sorgen: Die Geschichte der Anne Frank geht noch heute Menschen weltweit unter die Haut

von Michael Grau, Michaela Hütig  31.03.2025

München

Schau zu »Holocaust im familiären Gedächtnis« im Jüdischen Museum

Die Zeitzeugen des Holocaust sterben nach und nach weg. Auch für deren Angehörige heißt das, sich zu fragen, wie man mit der eigenen Familiengeschichte weiter umgehen soll. Eine Münchner Schau nimmt sich des Themas an

 31.03.2025

Las Vegas

Kiss tritt ungeschminkt auf

Schon 2023 schwor Gene Simmons, dass die Band diesen Schritt wagen werde. In Las Vegas will er Wort halten

 31.03.2025

Gert Rosenthal

»Mein Vater war sehr bodenständig«

Am 2. April wäre Hans Rosenthal 100 Jahre alt geworden. Zum Jubiläum würdigt ihn das ZDF. Ein Gespräch mit seinem Sohn Gert über öffentliche und private Seiten des Quizmasters

von Katrin Richter  31.03.2025 Aktualisiert

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  31.03.2025