Tom Uhlig, Brille und Viertagebart, drückt auf einen Knopf in einer Tafel. »Brecht die Macht der Banken und Konzerne!«, schreit es aus unsichtbaren Lautsprechern. Es ist ein Slogan, der auf Demonstrationen im linken Spektrum regelmäßig zu hören ist. Von den »Banken und Konzernen« ist es nur ein kleiner Schritt, die Bosse von Unternehmen, darunter auch reiche Juden, persönlich verantwortlich zu machen für allen Unbill des Kapitalismus.
Uhlig ist Kurator der Ausstellung Das Gegenteil von gut – Antisemitismus in der deutschen Linken seit 1968. Sie ist noch bis zum 27. September in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main zu sehen. Judenfeindlichkeit sei kein bloßes Vorurteil, sagt Uhlig bei der Eröffnung der Schau. Es sei ein Ressentiment, eine emotionale Art, die Welt zu verstehen.
REFLEX »Linker Antisemitismus ist die Form des Antisemitismus, die am wenigsten thematisiert wird«, sagt Meron Mendel, der Leiter der Bildungsstätte. Unter Linken gebe es einen Reflex, jede Form von Ressentiment weit von sich zu weisen, weil man ja links sei und somit für eine Welt streite, in der Menschen verschieden sein dürften.
Die Ausstellung zeigt auf Texttafeln oder Interviewsequenzen, zum Beispiel mit dem Politologen und Historiker Ismael Küpeli oder mit der Politikerin Jutta Ditfurth, dass Linke in der Geschichte dennoch immer wieder hinter diesen Anspruch zurückfallen. Als Symbol des weltumspannenden Kapitalismus taucht auf Demonstrationen beispielsweise immer wieder der Krake auf.
»Linker Antisemitismus ist die Form des Antisemitismus, die am wenigsten thematisiert wird«, sagt Meron Mendel.
Dieses Tier habe als Symbol nicht nur für die Anwürfe der klassischen Judenfeindschaft von rechts herhalten müssen, sagte Uhlig. Das Symbol lege auch nahe, dass das System Kapitalismus auf das Wirken einer kleinen, reichen Minderheit zurückzuführen sei.
UNGLEICHHEIT Beseitige man diese Minderheit, beseitige man damit auch soziale Ungleichheit. Dabei falle unter den Tisch, dass Kapitalismus eben nicht das Produkt von Klüngelei sei, sondern ein Beziehungsgeflecht, an dem jeder Konsument seinen Anteil habe, erläuterte Uhlig. In einem emotionalen Weltbild seien solche komplexen Zusammenhänge aber nur schwer darzustellen.
Uhlig will das demonstrieren und drückt einen weiteren Knopf, direkt unter dem ersten. »Brecht die Macht des Beziehungsgefüges Kapitalismus, an dessen Reproduktion wir jeden Tag unseren Anteil haben!«, ist jetzt zu hören. Der Kurator hebt die Schultern, grinst leicht. »Ist irgendwie nicht so griffig«, stellt er fest. Als Slogan für Demonstrationen also denkbar ungeeignet.
Ignatz Bubis ließ die Bezeichnung »Kapitalist« gelten, aber nicht »jüdischer Kapitalist«.
Die Ausstellungsmacher haben die Schau in mehrere »Räume« unterteilt. Jeder »Raum« umfasst einige Tafeln mit Texten, Interviews, denen die Besucher mit Kopfhörern folgen können, oder Fotos. Neben dem »Raum der Straße« gibt es den »Raum des Konsums« oder den »Raum des Wohnens«.
HAUSBESETZER Zum Wohnen findet die Ausstellung direkt in Frankfurt am Main genug Anschauungsmaterial. Denn hier war einer der Schwerpunkte der Hausbesetzerszene in den 70er- und 80er-Jahren. Und sie hatte ihre Vorstellungen davon, welcher Religion die Spekulanten angehörten, denen man die Wohnungsnot zu verdanken habe.
Ignatz Bubis, Frankfurter Immobilienkaufmann und später Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, wusste, gegen welche Argumentation er sich wehrte, als er sagte, er lasse sich ja gern als »Kapitalisten« beschimpfen. Aber nicht als »jüdischen Kapitalisten«.
Ebenfalls in Frankfurt am Main sorgte im Jahr 1975 ein Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder für Aufregung. In Der Müll, die Stadt und der Tod taucht die Figur des »reichen Juden« auf, die noch nicht einmal einen eigenen Namen hat, sich aber durch Gier und Triebhaftigkeit auszeichnet. Im »Raum der Kultur« ist der Streit um das Stück nachzuvollziehen.
»Der linke Judenhass scheint derzeit zu gedeihen«, sagt Kurator Uhlig.
Im »Raum der Universität« geht es um akademischen Antisemitismus. »Er scheint derzeit zu gedeihen«, sagt Kurator Uhlig und nennt den Fall der Holocaust-Überlebenden Deborah Weinstein. Sie war vor knapp zwei Jahren während einer Podiumsdiskussion an der Berliner Humboldt-Universität von studentischen Aktivisten der israelfeindlichen BDS-Bewegung niedergebrüllt worden, die damit gegen den jüdischen Staat protestieren wollten.
Öffnungszeiten der Ausstellung: montags bis freitags, 14 bis 17 Uhr, sonntags 12 bis 18 Uhr