In der Villa Mohr auf Helgoland sind Juden ebenso unerwünscht wie in der Pension Unter den Eichen in Bad Fallingbostel. Dies sind nicht die einzigen Adressen, die das »Israelitische Familienblatt – Ausgabe für Groß-Berlin« am 5. September 1929 bekanntgibt. Die »C.V.-Zeitung« berichtet in ihrer Ausgabe vom 22. Mai 1925 über das berüchtigte antisemitische »Borkum-Lied«, das von der Kurkapelle gespielt wurde und den jüdischen Gästen den Ferienaufenthalt auf der Insel dauerhaft verleidete.
privatsammlung »Da kann man es doch nachlesen, dass der Antisemitismus schon lange da war und nicht erst 1933 vom Himmel fiel«, sagt Franz Josef Wiegelmann. Der frühere Presseoffizier der Bundeswehr sammelt seit über 50 Jahren historische Zeitungen. Rund 120.000 Exemplare hat er mittlerweile in seinem Haus in Siegburg gestapelt, von der Bibliothek bis in den Heizungskeller, wie er lachend erzählt.
Begonnen hat diese Leidenschaft in den 60er-Jahren, »weil ich es spannend fand, aus erster Quelle zu lesen«. Mit rund 1000 Exemplaren sind jüdische Zeitungen nur ein Teil der Wiegelmannschen Sammlung, aber, wie er sagt, ein wichtiger. Durch enge Verbindungen zu Publizisten in Israel wurde er auf das Thema aufmerksam. Seitdem richtet er sein Augenmerk speziell auf die Berichterstattung über den Antisemitismus.
»Da ist so eine historische Pressesammlung ideal, um die Entwicklungen zu studieren.« Seit seiner Pensionierung organisiert Wiegelmann Ausstellungen seiner Sammlung und verfasst Bücher zum Thema Judentum und Antisemitismus in der Publizistik. »Es ist mein Anliegen, das zu dokumentieren.«
moses mendelssohn In der historischen Synagoge von Celle aus dem Jahr 1740 sind jetzt bis zum 13. Januar 2013 Teile der Sammlung zu sehen. Die Ausstellung ist die erste, so Wiegelmann, die sich explizit dem Thema der deutschsprachigen jüdischen Zeitungen widmet. Unter dem Titel Aufklärung – Widerstand – Selbstbehauptung spannt sie den Bogen vom Jahr 1750 bis in die Gegenwart. Wobei manche Themen immer wiederkehren, wie der Sammler festgestellt hat. »Berichte über das Thema Beschneidung gab es auch schon früher. Also nichts Neues heute. Manchmal verlassen uns die Themen gar nicht. So wird Geschichte lebendig.«
Gezeigt werden fast ausschließlich Originale. Nur der »Qohelet Musar«, die auf 1750 datierte und von Moses Mendelssohn herausgebrachte erste nachweisbare jüdische Zeitung in Deutschland, ist ein Faksimile, denn es gibt sie nur in ganz wenigen Exemplaren.
Zu sehen sind in der Ausstellung auch jeweils nur einzelne Zeitungsseiten, was Wiegelmann bedauert. Er selbst sammelt möglichst immer ganze Ausgaben, »damit man von A bis Z lesen kann. Manchmal ist die Seite mit der Werbung interessanter als die politische Seite«. Er habe einmal im Internet recherchiert, wie viele Namen örtlicher jüdischer Geschäfte, die vor der Schoa inseriert hatten, noch auffindbar waren. »Von 200 Namen fand ich noch drei«.
seltenheit Die Celler Ausstellung bietet eine gute Gelegenheit, sich durch die Jahrhunderte deutsch-jüdischer Publizistik zu lesen. Und eine seltene dazu. »Das ist das große Problem dieser Ausstellungen. Man kann sie höchstens zweimal zeigen, weil das Papier so empfindlich ist und sich zersetzt«, erklärt der Sammler. Die Schau endet mit Ausgaben aus dem Jahr 2005 – auch die Jüdische Allgemeine vom 25. August des Jahres ist dabei. Franz Josef Wiegelmann sammelt derweil weiter, wobei er die neuen Zeitungen, die heute digitalisiert werden, nur noch exemplarisch aufnimmt.
Manchmal kommen aber unverhofft neue Schätze dazu. Stolz erzählt Wiegelmann von seinem jüngsten Sammlerglück: »Die Synagogengemeinden schicken sich immer gegenseitig Ausgaben ihrer Zeitungen zu. Ich war gerade in Dresden, als man da den Keller räumen wollte, und habe gleich gesagt: ›Nicht in den Papierkorb – bitte in meinen Kofferraum!‹«
»Aufklärung – Widerstand – Selbstbehauptung«. Die Geschichte der deutschsprachigen jüdischen Presse 1750 bis heute. Celler Synagoge, Im Kreise 24, bis 13. Januar 2013
www.celle.de