Herr Shafian, Sie haben zusammen mit Yuval Halpern vor zwölf Jahren die Musikgruppe Sistanagila gegründet, der israelische und iranische Musiker angehören. Seit dem 7. Oktober 2023 ist die Welt eine andere geworden. Es ist Krieg – und auch der Iran greift Israel an. Wie gehen Sie als Iraner damit um?
Es gibt zwei unterschiedliche Ebenen, wie ich meine Umwelt wahrnehme, zum einen die persönliche und zum anderen die Ebene im Rahmen dieses Musikprojekts.
Wie sieht die persönliche aus?
Ich finde unglaublich, was passiert ist. Traurig. Anstrengend. Fast entmutigend. Und sehr deprimierend. Die ganzen Ereignisse, die seitdem geschehen sind, und der ganze Konflikt, der ja noch andauert, sind psychisch sehr belastend.
Und auf der professionellen Ebene?
Unser Musikprojekt gibt es zum Glück schon länger. Wir musizieren zusammen und sind auch befreundet. Dieses enge Verhältnis hat dazu geführt, dass wir nach dem 7. Oktober solidarisch waren. Und diese Solidarität hat sich ja auch bewährt und hält auch immer noch an. Es hat sich ein gewisses Verständnis füreinander entwickelt. Nach dem 7. Oktober spürten wir alle, dass wir füreinander da sind – das hat die Gruppe auf jeden Fall noch mal zusammengeschweißt. Wir wissen, dass wir an unserer Botschaft – der Verständigung – festhalten, wissen, dass das Gemeinsame klappt und wir als Musikensemble weitermachen.
Kann Sistanagila noch auftreten? Oder sagen Veranstalter aus Sicherheitsgründen ab?
Aus Sicherheitsgründen gab es bis jetzt nur eine einzige Absage, im April in Nürnberg, als die Islamische Republik Israel bombardierte. Das war bei der Jüdischen Gemeinde in Nürnberg, das konnten wir natürlich verstehen. Aber abgesehen davon gab es keine Absagen.
Ist der Konzertkalender gut gefüllt?
Es ist schwierig geworden, Auftritte zu organisieren. Aus unterschiedlichen Gründen. Ich denke, einer ist bestimmt die allgemein finanziell schwierige Lage in der Kulturbranche. Dass immer weniger Leute Konzerte organisieren, davon sind wir natürlich auch betroffen. Wahrscheinlich gibt es jetzt die Tendenz, auch in der Kulturszene, wenn man den Namen Israel hört, vielleicht nicht so unbedingt darauf einzusteigen.
Sistanagila ist extrem erfolgreich. Gibt es auch Anfeindungen?
Nein. Wir haben durchweg positive Erfahrungen gemacht bei den Liveauftritten. Dagegen gibt es in den sozialen Medien immer wieder schwarze Schafe. Aber ansonsten, denke ich mal, wird das Projekt sehr positiv aufgenommen. Vor allem in Deutschland, aber auch im Ausland. Wir waren gerade auf einer Tournee in Rumänien, wo wir drei Konzerte gegeben haben. Die Reaktion war sehr positiv. Natürlich hängt es auch bisschen mit der Natur unseres Projektes zusammen, dass wir einfach versuchen, auch ein bisschen Hoffnung zu machen oder eine Perspektive zu zeigen. Das ist einfach ermutigend für viele Menschen.
Sie setzen ja auf Verständigung, Vielfalt und Harmonie. Und damit erreichen Sie auch noch die Menschen?
Genau. Ich denke, die Hauptbotschaft ist ja meistens: Lasst uns einfach zusammenkommen! Ohne Vorurteile. Erst mal versuchen, miteinander in Austausch zu kommen und im besten Fall auch etwas Schönes zu erschaffen. Das ist unsere Botschaft.
Sie sind in Teheran aufgewachsen und Sie besuchten eine Klasse mit drei Juden, die dann das Land verließen. Genau wie Sie selbst auch. Aber einige Freunde von Ihnen leben noch im Iran. Was berichten sie über die aktuelle Situation?
Die Lage ist natürlich ziemlich angespannt. Man muss auch über den Kontext im Iran reden. Seit Jahren ist die Lage dort wirtschaftlich katastrophal. Laut Statistik müssen 25 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Leute haben wirklich ganz andere Alltagsprobleme als die, sich jetzt noch mal mit diesem Konflikt in Gaza oder in Israel auseinanderzusetzen. Das ist ein Konflikt wie viele andere.
Beziehen die Iraner Stellung?
Ich denke nicht, dass die iranische Bevölkerung in ihrer Mehrheit mehr oder weniger solidarisch für die eine oder andere Seite ist als in Deutschland oder sonst wo. Auch weil die Menschen im Alltag einfach ganz andere, existenzielle Probleme haben. Auf der anderen Seite gibt es natürlich diese ideologische Feindschaft der Islamischen Republik gegenüber Israel, die dann das ganze Land eigentlich an den Abgrund gebracht hat. Das ist auch eine unglaublich belastende Situation für die Bevölkerung im Iran.
Inwiefern?
Die Aufrüstung kostet so viel, das hat auch zur Wirtschaftskrise geführt. Die Sanktionen tun ihr Übriges. Die Unterstützung der Terrormilizen in der Region verschlingt viel Geld. Aufgrund dieser ideologischen Außenpolitik ist das Land allgemein isoliert. Es gibt eine Unterdrückung innerhalb des Landes, und zwar sozial und kulturell. Wir hatten vor zwei Jahren die Bewegung »Frau, Leben, Freiheit«, die dann vom Regime massiv unterdrückt wurde. Das hat die ganze Gesellschaft in einen Auflösungsprozess gestürzt. Die Atmosphäre ist auf jeden Fall sehr deprimierend im Iran. Ich denke, viele Leute sehen dort keine Zukunft mehr.
Iran gilt als der Erzfeind von Israel und ist zugleich Heimat der größten jüdischen Gemeinde in der muslimischen Welt …
Was die aktuelle Situation der Juden im Iran angeht, so haben sie eine gewisse Freiheit, was die Religionsausübung betrifft, aber sie werden auch ständig mit diesem Dilemma konfrontiert, sich vom Staat Israel distanzieren und dementsprechend die offizielle Politik der Islamischen Republik mittragen zu müssen. Aber ich denke, solange man sich dem Regime beugt und sich jetzt nicht kritisch über die Regierungspolitik äußert, kann man als Jude oder Christ seine Religion ausüben. Wobei inzwischen wirklich sehr wenige Juden übriggeblieben sind. Wahrscheinlich weniger als 10.000. Die meisten sind ältere Menschen, die wahrscheinlich keinen Sinn mehr darin sehen, jetzt noch mal auszuwandern. Aber bei den Jüngeren, da bin ich mir ziemlich sicher, dass die allermeisten das Land verlassen haben.
Gibt es in Ihnen dennoch Hoffnung?
Im Allgemeinen blicke ich pessimistisch in die Zukunft. Nicht nur hinsichtlich der aktuellen Lage im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch allgemein in Bezug auf die vielen politischen und ökonomischen Krisen der Gegenwart. Wachsender Islamismus oder Extremismus in allen politischen Lagern gepaart mit der zunehmenden ökonomischen Ungleichheit sind Zutaten, die für die nahe Zukunft leider nichts Gutes erahnen lassen.
Mit Babak Shafian, dem Gründer der Musikgruppe Sistanaglia, sprach Christine Schmitt