»Proletarier aller Länder, vereinigt euch!«, lautete einst der Schlachtruf von Karl Marx. Doch das Gespenst des Kommunismus ist längst Geschichte. Dafür hat sich, folgt man der These von Anne Applebaum in ihrem neuen Buch, eine andere Gruppe erfolgreich zusammengetan und den Kampf gegen die freie Welt aufgenommen, und zwar die »Achse der Autokraten«. Gemeint sind damit Potentaten wie Wladimir Putin, aber auch die Mullahs in Teheran, Chinas Staatspräsident Xi Jinping und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan oder ihre Versionen im Westentaschenformat, allen voran die Potentaten von Simbabwe und Venezuela, Emmerson Mnangagwa und Nicolás Maduro.
Die Historikerin und Journalistin, 1964 in Washington als Tochter jüdischer Eltern geboren und mit dem polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet, attestiert dieser Clique nicht nur einen ausgesprochenen Hang zur maßlosen Selbstbereicherung, sondern – und das ist viel wichtiger – Ähnlichkeiten in ihren Interessen, weshalb sie auf globaler Ebene oftmals gemeinsam handeln.
Konkret bedeutet dies, dass auf den ersten Blick ideologisch wenige homogene Akteure wie der schiitische Iran, Russland mit seinen Oligarchen, das turbokapitalistische China oder das pseudosozialistische Venezuela einander mit Waffen, Investitionen oder Technologien zur totalen Kontrolle ihrer Bürger unterstützen und alles unternehmen, um den Westen zu destabilisieren. »Moderne Autokraten unterscheiden sich in vieler Hinsicht von ihren Vorbildern des 20. Jahrhunderts. Doch auch sie haben einen gemeinsamen Feind. Dieser Feind sind wir.«
In Deutschland gebe es eine nostalgische Verklärung der sozialdemokratischen Ostpolitik aus den 70er-Jahren.
Genau diese Botschaft haben viele Verantwortliche im Westen ihrer Meinung nach aber noch nicht verinnerlicht. »Der Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 war die erste militärische Schlacht im Konflikt zwischen der Achse der Autokraten und der demokratischen Welt«, schreibt Applebaum. Die internationale Ordnung, wie wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kennen, sei damit obsolet geworden – nun aber sei die Verwirrung groß, wie man auf diese Tatsache adäquat reagieren sollte.
Manche würden immer noch auf Konzepte von gestern setzen. Gerade in Deutschland, so betont sie, gebe es eine nostalgische Verklärung der sozialdemokratischen Ostpolitik aus den 70er-Jahren, mit der man den Herausforderungen der Gegenwart begegnen möchte. Das mache aber blind vor den ganz realen Gefahren.
Genau solche Analysen sind die Stärken ihres Buches, das ein eindrückliches Plädoyer dafür ist, die Internationale der Autokraten endlich als das wahrzunehmen, was sie sind: Global agierende Hightech-Mafiabanden, die mit Scheinfirmen, Millionen von Bots in den sozialen Medien oder – wieder wird in diesem Kontext Deutschland als ein Negativbeispiel hervorgehoben – dem »Kauf« von Politikern wie Gerhard Schröder mehr oder weniger subtil Einfluss auf die Politik nehmen und die freien Gesellschaften so von innen heraus schwächen. In diesem Zusammenhang nennt Applebaum auch den Antisemitismus, der ein Instrument der Destabilisierung sein kann.
»Man ging wie selbstverständlich davon aus, dass sich Demokratie und freiheitliches Gedankengut in einer offeneren und vernetzten Welt einfach in den autokratischen Staaten verbreiten würden. Niemand konnte sich vorstellen, dass stattdessen die Autokratie und ihr Gedankengut in die demokratische Welt vordringen könnten.« Für Applebaum kann es nur eine Strategie geben, wie man den Autokraten Grenzen setzt: Die Demokratien müssen sich gleichfalls besser vernetzen und ihr Handeln synchronisieren.
Anne Applebaum: »Die Achse der Autokraten«. Siedler, München 2024,
208 S., 26 €