Die Stimme klingt herrisch, schneidend: »Hier Göring! Na endlich, dass ich Sie erreiche! Was?! Der Schuschnigg will nicht?« In dem 1958 uraufgeführten Biopic über Joseph Schmidt – Ein Lied geht um die Welt – sieht man den Film-Göring zwar nur von hinten, doch die Stimme hat es in sich: Sie klingt nicht nur wie Göring, es ist Göring, der dort spricht.
Allerdings nicht Hermann Göring, sondern dessen Bruder Albert. Dass ausgerechnet der stille und bescheidene Albert dem großmäuligen Hermann Göring im Film die Stimme leihen sollte, war wohl eine Idee des Produzenten und Drehbuchautors Ernst Neubach. Dieser gehörte zu den vielen Juden, denen Albert Göring in der NS-Zeit das Leben gerettet hatte.
quellen Die Geschichte Alberts, des »guten Görings«, wurde erstmals 1998 von britischen Dokumentarfilmern erzählt. Es folgten die Biografien von James Wyllie (2006) und William Hastings Burke (2009). Beide Bücher sind mehr oder weniger enttäuschend, da nur wenige Selbstzeugnisse Albert Görings überliefert sind. Vielleicht entschied sich die ARD auch wegen dieser schwierigen Quellenlage dazu, die Geschichte der Göring-Brüder in Form eines Dokumentarspiels zu erzählen.
Dank der hervorragenden Schauspieler Francis Fulton-Smith und Barnaby Metschurat als Hermann und Albert Göring kommt dabei nur selten Langeweile auf. Die Zuschauer werden Zeuge von höchst dramatisch verlaufenden Wortgefechten zwischen den so gegensätzlichen Brüdern. »Diese Begegnungen«, versichert Regisseur Kai Christiansen, »sind verbürgt.«
Leider wird an keiner Stelle des Films verraten, wer den Inhalt dieser oft nur unter vier Augen geführten Auseinandersetzungen für die Nachwelt festgehalten hat. Als einigermaßen verlässliche Quelle können hier wohl nur jene Aussagen gelten, die Albert Göring später gegenüber US-Offizieren gemacht hat. So mussten die Drehbuchautoren ihrer Fantasie immer wieder freien Lauf lassen, um die Geschichte zu erzählen.
verhältnis Die wesentlichen Fragen liegen hier auf der Hand: Wie standen die so ungleichen Brüder zueinander? Warum schützte der Massenmörder Göring immer wieder seinen Bruder? Warum duldete er dessen Rettungsaktionen, die der Gestapo bekannt waren? Und wie schaffte Albert Göring das psychologische Kunststück, in Hermann weiterhin auch den Bruder zu sehen?
Auf diese Fragen vermögen die Filmemacher allerdings nur sehr bedingt Antwort zu geben. Besonders beim Betrachten jener Szene, in der Hermann Göring dem in die Enge getriebenen Albert mit einem grausamen Prozess Todesangst einjagt, gewinnt man den Eindruck, dass hier die Liebe der Drehbuchautoren zum Schmierentheater gegenüber historischer Recherche die Oberhand gewonnen hat.
Dass der komplizierten Bruderbeziehung nicht mit Küchenpsychologie beizukommen ist, deutet im Film der Zeitzeuge George Pilzer an, dessen Familie Albert das Leben gerettet hat: »Ich will das Wort ›Liebe‹ nicht aussprechen für diesen Mann. Aber irgendetwas haben die zwei doch gemeinsam gehabt, eine gemeinsame Jugend. Das spielt auch mit.«
verhaftung Das wenige, was über Albert Göring verbürgt ist, bietet bereits genug Stoff für Dramatik, ohne dass man viel dazu erfinden muss. Der »gute Göring« fälschte Entlassungsbefehle für Gefangene, unterstützte als Exportdirektor der Skoda-Werke die tschechische Widerstandsbewegung und half vielen Emigranten mit Geldspenden.
Alberts Biograf Hastings Burke berichtet etwa von einem Ereignis, das sich nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich zugetragen hatte: Als Albert Göring Zeuge wurde, wie SA-Männer jüdische Frauen dazu zwangen, mit Bürsten das Straßenpflaster zu schrubben, tat er es den Frauen gleich. Als Göring den Nazis verkündete, wessen Bruder er sei, wurde die Demütigung der Frauen sofort beendet.
Laut einem anderen Bericht fuhr Albert 1944 ins Konzentrationslager Theresienstadt und forderte, dass man ihm Arbeiter zur Verfügung stellte. Er verließ mit ihnen das Lager und ermöglichte den Häftlingen später die Flucht. Selbst für Hermann Görings Bruder war das lebensgefährlich. Dreimal stellte die Gestapo Haftbefehle gegen Albert aus. Doch immer wieder schützte ihn der Bruder.
bizarr 1945 wurde Albert Göring verhaftet, da ihn die Amerikaner anfangs als NS-Täter einstuften. Und natürlich befragte man ihn zu seinem Bruder. Albert beteuerte dabei, dass sein Bruder ihm geholfen habe, wann immer er konnte: »Er hatte ein weiches Herz, und wenn er von einer Ungerechtigkeit hörte, die ich ihm nachdrücklich vor Augen führte, versuchte er immer, die Angelegenheit wieder ins Lot zu bringen.«
Glaubte Albert das wirklich? Oder wollte er den Bruder nur schützen? Jedenfalls dürften derart bizarre Aussagen über Hermann Görings Charakter nicht gerade dazu beigetragen haben, Alberts Glaubwürdigkeit in den Augen der Amerikaner zu festigen. Da diese ihm keine Verbrechen nachweisen konnten, lieferten sie ihn an die Tschechoslowakei aus.
1947 wurde Albert aufgrund von Zeugenaussagen von ihm geretteter Juden aus der Haft entlassen. Zurück in Deutschland, wurde es ihm unmöglich gemacht, eine feste Anstellung zu finden. Der Name, der ihn zwölf Jahre lang geschützt hatte, wurde Albert nun zur Last.
1966 verstarb Albert Göring vergessen und in Armut. Ein Spielfilm, der es vermag, diesem widersprüchlichen wie heldenhaften Göring gerecht zu werden, steht noch aus. Doch wer die beiden Brüder auf der Leinwand verkörpern sollte, steht nun immerhin fest.
»Der gute Göring«. Das Erste, Sonntag, 10. Januar, 21.45 Uhr
Lesen Sie auch das Interview mit Barnaby Metschurat über seine Rolle als Albert Göring. www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/24333