Irgendwie bemühten sich fast alle Teilnehmer der Tagung, seinen Namen nicht zu nennen. Dabei schwebte er wie ein böser Geist über der gesamten Veranstaltung »Neue Perspektiven der Provenienzforschung in Deutschland« am vergangenen Wochenende im Jüdischen Museum Berlin.
Die Rede ist von Cornelius Gurlitt und seiner über 1000 Werke umfassenden Sammlung von Bildern, die 2012 von Behörden in seiner Münchner Wohnung entdeckt wurde und ganz harmlos klingend als »Schwabinger Kunstfund« in die Geschichte einging. Die Bundesregierung und der Freistaat Bayern reagierten umgehend und richteten im November 2013 ein Expertengremium ein, das als Taskforce die Herkunft der beschlagnahmten Gemälde aufklären sollte. Vor allem sollte es darum gehen, mögliche Raubkunst zu identifizieren und ihren ursprünglichen Eigentümern zurückzugeben.
naiv »Das Gebot der Stunde ist jetzt Transparenz«, verkündete damals Außenminister Guido Westerwelle. »Wir sollten die Sensibilität dieses Themas in der Welt nicht unterschätzen.« Leiterin wurde die Verwaltungsjuristin Ingeborg Berggreen-Merkel, die zu Beginn ihrer Arbeit erklärte, dass diese Aufgabe wohl in einem Jahr erledigt und damit vom Tisch sei.
Nun sind aber schon zwei Jahre ins Land gegangen, und das Ergebnis sieht so aus: Von den etwa 500 Werken, die die Taskforce als »raubkunstverdächtig« auflistet, gibt es erst zu vier Bildern einen positiven Befund. Zwei von ihnen – Max Liebermanns Zwei Reiter am Strand und Femme Assise von Henri Matisse – wurden restituiert. Berggreen-Merkel selbst musste sich deswegen vor wenigen Tagen einige unangenehme Fragen vom Ausschuss für Wissenschaft und Kunst im bayerischen Landtag anhören. Sie selbst gab zu, vielleicht »naiv« gewesen zu sein und die Dimensionen der Aufgabe unterschätzt zu haben.
»Die Blamage« betitelte die »Süddeutsche Zeitung« deshalb ihre Arbeit. Berggreen-Merkel selbst attestierte man in dem Artikel eklatante Unfähigkeit. Mitarbeiter wurden mit den Worten zitiert, dass Auktionshäuser in der Lage seien, in 48 Stunden die Herkunft eines Bildes zu klären. Professionell arbeitende Provenienzforscher dürften das wahrscheinlich etwas anders sehen, aber das Arbeitstempo der Taskforce ließ in der Tat zu wünschen übrig. Sepp Dürr, kulturpolitischer Sprecher der Grünen in Bayern, fand es zudem befremdlich, dass die Taskforce nicht einmal vorhandenes Expertenwissen vor Ort angezapft habe und das Institut für Kunstgeschichte in München erst nach Monaten um Unterstützung bat.
Claims Conference Kopfschütteln verursachte auch Berggreen-Merkels Entscheidung, keine Rechercheure nach Frankreich zu entsenden. Dort nämlich hatte Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand als Händler während des Krieges munter Kunstwerke abgegriffen. »Hildebrand Gurlitts Einkäufe haben bestimmt nichts mit seinem Faible für die französische Kunst zu tun«, erklärt Rüdiger Mahlo.
»Es ging vielmehr um ihre Verfügbarkeit«, so der Repräsentant der Jewish Claims Conference in Deutschland in seinem Beitrag auf der Tagung. Weil die deutsche Besatzungsmacht auch westlich des Rheins einen gigantischen Raubzug durch staatliche Museen und private Sammlungen unternommen hatte, gab es ein riesiges Angebot. »Vieles davon stammte eindeutig aus jüdischem Besitz«, betont Mahlo.
»Taskforce suggeriert Schnelligkeit und ein unkompliziertes Vorgehen«, versucht der Kunsthistoriker Uwe Schneede in Berlin zu beschwichtigen. »Das ist leider falsch. Es braucht viel Zeit und Mühe«, so der Stiftungsvorstand des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste, das ab 2016 die Arbeit von Berggreen-Merkel fortsetzen soll.
Opferschicksale Als Einrichtung von Bund und Ländern mit Sitz in Magdeburg vor einem Jahr ins Leben gerufen, soll nun die Provenienzforschung generell weiter vorangetrieben werden. »Das sind wir den von den Nationalsozialisten verfolgten Menschen einfach schuldig«, erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters anlässlich der Konferenzeröffnung. »Schließlich geht es auch um die Anerkennung von Opferschicksalen.«
Schneede selbst betonte immer wieder, wie wichtig ihm dabei Transparenz und Effizienz seien. »Die Recherche nach NS-Raubkunst hat in unserer Arbeit den absoluten Vorrang.« Provenienzforschung soll auch stärker in das universitäre Kunstgeschichtsstudium integriert werden. »Daran arbeiten wir«, so Schneede.
Bereits jetzt steht fest: Schneede wird sich auch in Zukunft noch viel mit den Hinterlassenschaften Gurlitts beschäftigen müssen. Auch sieht sich das Zentrum als Berater von Museen und Sammlern, Schneede spricht gar von mobilen Expertenteams, die aufgebaut werden sollen. Letztlich aber ist der Einfluss des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste überschaubar. In Magdeburg kann nur Forschungsarbeit betrieben werden, auf deren Grundlage dann Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. Das eigentliche Sagen in Fragen der Restitution haben am Ende immer andere: die Sammler, Auktionshäuser, Museen und natürlich vor allem die Gerichte.
zeit Rüdiger Mahlo betonte in seinem Beitrag auf der Berliner Konferenz noch einmal, worum es beim Thema Raubkunst eigentlich wirklich geht. »Provenienzforschung ist ein immanenter Teil des musealen Auftrags«, so der Experte von der Claims Conference. »Zum einen büßt ein Kunstwerk ohne Wissen um seine Herkunft einen wesentlichen Teil seiner Aussage ein. Zum anderen gehören Kulturgüter, an denen Blut klebt, einfach nicht in ein deutsches Museum.«
Angesichts der bis dato gemachten Erfahrungen in diesem Kontext erinnerte Mahlo noch einmal an den Faktor Zeit. Der mittlerweile über 90 Jahre alte Schoa-Überlebende David Toren beispielsweise erhielt wegen des langwierigen Hickhacks um Restitutionen aus dem Gurlitt-Fundus das ihm zustehende Max-Liebermann-Gemälde Zwei Reiter am Strand erst nach rund zwei Jahren. Zum Zeitpunkt der Rückgabe war er bereits erblindet, sein Bruder war kurz zuvor verstorben.
»Die Überlebenden werden immer weniger«, weiß Rüdiger Mahlo. »Die Provenienzforschung ist deshalb auch ein wesentlicher Bestandteil der Schoaforschung.«