Musik

Und das nicht nur zur Chanukkazeit

»Wir kamen aus unseren Verstecken. Sie dachten, sie hätten uns gekriegt. Aber wir haben Feuerzeuge und Streichhölzer«: übersetzte Zeilen des Chanukka-Songs von Rappers & Rabbis Foto: Öykü Çakar-Smith

Was haben Hip-Hopper und Rabbiner gemeinsam? Sehr viel! Das findet jedenfalls Matt Bar, Gründer von Rappers & Rabbis (Rapper und Rabbiner). »Es gibt niemanden, der mehr Spaß an Sprache und Wortspielen hat als Rabbiner und Rapper«, sagt der 44-Jährige.

Die Idee erwuchs aus Bars vorangegangenem Projekt »Bible Raps«. Mehr als 20 Jahre tourte der Musiker durch die USA und trat auf Tagungen, in jüdischen Sommerlagern oder an Schulen auf. Sein Ziel ist es, jüdische Inhalte zu verbreiten und die Zuhörer dort abzuholen, wo sie sind.

Dieses Jahr bringt die Gruppe eine Chanukka-Single heraus. In charakteristischer Rappers & Rabbis-Manier wird in dem Hit »Light Is In The Air« (Licht liegt in der Luft) die Chanukkageschichte dem Antisemitismus gegenübergestellt. Nach einem langsamen Intro, das als Einführung dient und den historischen Kontext bereitstellt, steigt der Song energisch in die Hip-Hop-Beats ein. Die zwei Rap-Strophen sind durch einen mehrstimmig gesungenen Refrain verbunden.

In der letzten Strophe heißt es: »We are survivors. They tried to punish the pious« (»Wir sind Überlebende. Sie haben versucht, die Frommen zu bestrafen«). Und etwas später: »We came down from the attic. They thought they had us. But we got lighters and matches.« (»Wir kamen aus unseren Verstecken. Sie dachten, sie hätten uns gekriegt. Aber wir haben Feuerzeuge und Streichhölzer.«)

»›Light Is In The Air‹ lehrt uns, dass wir alle mitverantwortlich sind, die Welt zu einem hoffnungsvolleren Ort zu machen«, sagt Dvir Cahana, Rabbiner in Ausbildung. Zusammen mit Bar leitete der 28-Jährige den Workshop, bei dem Text und Musik der Single entstanden sind.

Dvir Cahana (28) aus einer Rabbinerdynastie hat mehrere Hip-Hop-Alben veröffentlicht.

»Als ich anfing, war pädagogischer Hip-Hop eine Neuheit«, erinnert er sich. »Heute gibt es dafür Studiengänge und erfolgreiche Musicals wie ›Hamilton‹.« Bar nennt 2018 als das Gründungsjahr von Rappers & Rabbis. So richtig ernst wurde es allerdings erst während der Pandemie. Wenige Monate vor dem ersten Corona-Lockdown erhielt er eine auf drei Jahre ausgelegte Finanzspritze einer gemeinnützigen Stiftung.

Mit dem Geld finanzierte der Musiker mehrtägige Treffen, bei denen erst via Zoom und später gemeinsam in einem angemieteten Haus geredet, musiziert und gelernt wurde. »Diese Wochenendseminare waren elektrisierend«, erzählt Cahana begeistert. Als einer von zwei Rabbinern der Gruppe ist der angehende Seelsorger dafür zuständig, dass die Rapper, denen es an jüdischem Hintergrundwissen und Kontext mangelt, wissen, worüber sie reimen.

Der 28-Jährige entstammt einer Rabbi­nerdynastie. Schon sein Vater, sein Großvater und andere männliche Vorfahren waren Rabbiner. Bevor er selbst ins »Familiengeschäft« einstieg, war Cahana erfolgreich in der Hip-Hop-Szene im kanadischen Montreal unterwegs und veröffentlichte mehrere Alben. Dvir Cahana verfolgte Bars Karriere schon seit dessen »Bible Raps«-Zeiten. »Matt machte Musik, die meine Leidenschaft fürs Judentum ansprach«, sagt er.

Matt Bar wuchs in Iowa City im Bundesstaat Iowa auf. Die Stadt im mittleren Westen der USA liegt ungefähr eine Flugstunde westlich von Chicago. Unter den etwa 74.000 Einwohnern war seine Familie eine der wenigen jüdischen.

»In meiner Barmizwa-Klasse waren noch drei andere Kinder«, erinnert er sich. Seine Eltern schickten ihn zwar zum Religionsunterricht in eine Reformgemeinde, waren ansonsten aber nicht besonders religiös. Bars eigenes Verhältnis zum Judentum änderte sich erst, als er mit Anfang 20 an einer Birthright-Reise nach Israel teilnahm. Beeindruckt vom Land, das er bisher nur aus der Tora kannte, blieb er statt zwei Wochen zwei Jahre und belegte Kurse am Pardes-Institut, einer Bildungseinrichtung für jüdische Laien und Pädagogen in Jerusalem. »Meine Professoren dort waren allen neuen Methoden gegenüber sehr aufgeschlossen«, berichtet er. »Seitdem nutze ich meine Rap(super)kräfte, um Tora zu vermitteln.«

Außer dem Video mit dem Chanukka-Hit gibt es auf den Internetseiten der Initiative Mitschnitte von Auftritten und Material zu anderen Feiertagen, wie zum Beispiel eine Hip-Hop-Haggada für Pessach, die während der Pandemie entstand. Auch den traditionellen Freitagabend-Gottesdienst nahmen sich Bar und seine Mitstreiter vor. »Wir haben einen ganz neuen Rap-Gottesdienst zusammengestellt mit den mehr als zehn wichtigsten Komponenten, die Gottesdienstbesucher erkennen werden, die regelmäßig in die Synagoge gehen«, sagt Bar. Zur Seriosität trägt auch bei, dass bei allem, was Rappers & Rabbis machen, immer mindestens ein Gelehrter dabei ist, um für den nötigen Tiefgang zu sorgen.

Mit bedeutungsvollen Texten und traditionellem Wissen soll die Ini­tiative in die Zukunft geführt werden.

Für Bar, den Gründer des Projekts, ist Cahana mit seiner Erfahrung als Musiker und als angehender Rabbiner ein Vertreter der nächsten Generation von Rappers & Rabbis. Mit bedeutungsvollen Texten und traditionellem Wissen soll er die Ini­tiative in die Zukunft führen.

Dabei hilft ihm Rachel Haymer, die einzige Frau in der Mannschaft von Rappers & Rabbis. Sie lernte Bar bei einer Tagung für jüdische Songwriter kennen. Ein paar Monate später nahm die Musikerin, die bis dahin eher in der Folk-Musik beheimatet war, an einem mehrtägigen Seminar der Rappers & Rabbis teil. »Ich war noch nie so Feuer und Flamme für ein kreatives Projekt«, sagt sie.

Haymer (40) wuchs auf Hawaii auf und war dort unter anderem als Vorbeterin für den Tempel Emanu-El in Waikiki, ihrer Heimatstadt, tätig. Ihre Eltern schickten die rebellische Teenagerin auf die Waldorfschule in Honolulu, weil es die einzige Privatschule war, an der die Schüler nicht jeden Tag an einer christlichen Morgenandacht teilnehmen mussten.

Im Rahmen eines Schüleraustauschs verbrachte sie mit 16 einige Monate in Bad Boll, einem Dorf in der Nähe von Göppingen in Baden-Württemberg. Sie verliebte sich, so sagt sie, unter anderem deshalb in Deutschland, weil dort Jugendliche schon im Alter von 16 Jahren Bier und Wein trinken dürfen – was Amerikanern erst mit 21 zugestanden wird. Haymer lernte Deutsch und reist so oft wie möglich in ihre zweite Heimat.

Wenn es nach ihr ginge, würden Rappers & Rabbis bald auch in Deutschland in jüdischen Gemeindezentren und in Schulen auftreten, um mit Hip-Hop ihre Version eines engagierten und relevanten Judentums zu verbreiten – nicht nur zur Chanukkazeit.

www.rappersandrabbis.com

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