Die Lichter sind noch an, das Konzert hat noch nicht begonnen, da dringt Roger Waters‹ Stimme schon durch die Lautsprecher: »In einer Angelegenheit von öffentlichem Interesse: Ein Gericht in Frankfurt hat entschieden, dass ich kein Antisemit bin. Ausgezeichnet«, ruft der Pink-Floyd-Mitbegründer auf Englisch durch die Hamburger Barclays-Arena.
Weiß auf Schwarz erscheinen seine Worte auf der Leinwand über der Bühne. Von den etwa 6500 Zuschauerinnen und Zuschauern, die an diesem Sonntagabend den Deutschland-Auftakt seiner »This Is Not A Drill«-Tour verfolgen, gibt es dafür viel Applaus.
Er verurteile Antisemitismus vorbehaltlos. »Außerdem kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir uns auf den Auftritt in Frankfurt freuen«, fährt der mit ebenso zahlreichen wie sehr gut begründeten Antisemitismus-Vorwürfen konfrontierte 79-Jährige fort - und erntet erneut viel Jubel und Applaus.
Bundesweit hatte es in den vergangenen Monaten massive Kritik an den Auftritten des britischen Rockmusikers gegeben, die im Mai auch in Köln, Berlin, München und Frankfurt am Main anstehen. In Frankfurt wollten die Stadt und das Land Hessen den Auftritt des Sängers wegen Antisemitismus-Vorwürfen verhindern - sein Konzert am 28. Mai sollte abgesagt werden.
Waters hatte aber gegen den Beschluss geklagt und Recht bekommen. Das Frankfurter Verwaltungsgericht berief sich in seiner Entscheidung unter anderem auf die Kunstfreiheit.
Die mannigfachen Antisemitismus-Vorwürfe gegen Waters haben unter anderem auch mit einem Ballon in Form eines Schweins zu tun, auf dem ein Davidstern prangte. Den Ballon schoss Waters in der Vergangenheit dann gern mal mit einem Maschinengewehr ab.
Auch an diesem Sonntagabend fliegt das Schwein während der Pink-Floyd-Songs »In The Flesh« und »Run Like Hell« durch die Arena. Anders als bei früheren Konzerten ist darauf allerdings kein Magen David zu sehen. Stattdessen prangt dort unter anderem auf Englisch der Schriftzug »Von den Armen stehlen und den Reichen geben« sowie die Namen mehrerer Rüstungsunternehmen, inklusive eines israelischen.
Waters wird für seine Nähe zur laut Deutschen Bundestag in Handlungen und Zielen antisemitischen BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) kritisiert, die zum allumfassenden Boykott des Staates Israel aufruft. Auch Äußerungen zum Krieg in der Ukraine sorgten für Aufsehen - etwa, dass Russlands Präsident Wladimir Putin damit den Faschismus in dem Land bekämpfen wolle und dass die USA ein Hauptaggressor seien.
Was also denken die Zuschauerinnen und Zuschauer in der Barclays-Arena über Waters politische Äußerungen? »Mir geht’s vor allem um die Musik und nicht um die Politik«, sagt der 30-jährige Lukas vor Beginn des Konzerts.
Ein Satz, der in ähnlicher Form häufiger fällt beim Deutschland-Auftakt von Waters Tour. »Die originale Pink-Floyd-Show kann man ja leider so nicht mehr wahrnehmen beziehungsweise die Band, deswegen genießen wir das jetzt hier«, sagt die 35-jährige Sandra.
Tatsächlich kommen sowohl die Songs aus der Zeit von Pink Floyd als auch aus Waters Karriere als Solokünstler gut an in Hamburg. Besonders viel Applaus bekommt der komplett in schwarz gekleidete Brite für den Hit »Wish You Were Here«. Lippen bewegen sich mit zu »all in all, you’re just another brick in the wall«. Und am Ende - nach fast dreistündiger Show inklusive Pause - klatschen viele stehend Beifall.
Politische Botschaften sind dabei den ganzen Abend über präsent. Sie flackern in Videosequenzen und Animationen über die dreidimensionale kreuzförmige Leinwand, die über der ebenfalls kreuzförmigen Bühne inmitten der Arena angebracht ist. Indigene, jemenitische und palästinensische Rechte werden da etwa gefordert - und auch für »Free Julian Assange« gibt es viel Applaus. Der Wikileaks-Gründer sitzt seit vier Jahren in einem Gefängnis in London.
Beim Deutschland-Auftakt seiner Tour wird dem britischen Rockmusiker also viel zugejubelt - und auch außerhalb der Hamburger Barclays-Arena sind der Polizei am frühen Sonntagabend keine Proteste rund um das Konzert bekannt. Anders sieht das in Köln aus: Dort soll es am Montag eine Protestkundgebung geben, bevor Waters dort am Dienstag seinen nächsten Deutschland-Auftritt hat.
Dazu aufgerufen haben unter anderem die Synagogengemeinde und das Katholische Stadtdekanat Köln - die Veranstalter haben laut Polizei 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angemeldet. dpa/ja