Der New Yorker Historiker Fritz Stern hat sich im Grunde nie mit etwas anderem als mit Deutschland beschäftigt. Sein umfangreiches Werk gilt der politischen und geistesgeschichtlichen Entwicklung dieses Landes im 19. und 2o. Jahrhundert. Vor allem aber hat er die Rolle des Außenseiters in Deutschland beleuchtet. Es geht Fritz Stern um das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen, singulär ist vor allem sein Buch über Bismarck und seinen jüdischen Bankier Bleichröder, auf dessen Finanzkraft der Reichsgründer angewiesen war.
Stern hat mit Sympathie, mit Kritik, mit Wohlwollen auch die Entwicklung Deutschlands vor und nach der Wende verfolgt. Zwei Jahre vor dem Fall der Mauer sprach Fritz Stern als erster Ausländer im Deutschen Bundestag zum Gedenktag des 17. Juni 1953. Der Aufstand der Arbeiter in der DDR, so meinte er, sei »kein Aufstand für die Wiedervereinigung«, sondern ein »Aufstand für ein besseres, ein freieres Leben« gewesen. Viele haben dies damals in der alten Bundesrepublik nicht gerne gehört.
Demokratie Unbezweifelt aber blieb die Tatsache, dass hier ein Gelehrter sprach, der immer wieder um Vertrauen in die deutsche Nachkriegsgesellschaft und ihre demokratische Entwicklung geworben hat. Er gehörte zu jenen sechs Historikern, die Margaret Thatcher nach ihrer Meinung über ein wiedervereinigtes Deutschlands befragte.
Sterns Votum fiel eindeutig positiv aus. Niemand, so seine Analyse, habe Grund, sich vor einem vereinten Deutschland zu fürchten. Er sah und sieht die in der Bundesrepublik vorhandenen demokratischen Strukturen als beständig an. Aber Fritz Stern bemerkte auch immer wieder den »greifbaren Mangel an Vertrauen in die politische Führung«. Der ständige Niedergang dieses Vertrauens – nicht nur in Deutschland – sei alarmierend, so sein Befund.
Oft hat Fritz Stern, der als Zwölfjähriger mit seinen Eltern wegen ihrer jüdischen Herkunft aus Breslau in die USA fliehen musste, den biografischen Zugang zu historischen Fragen gewählt. Das ist unter amerikanischen Historikern ohnehin beliebt. 1944 traf Stern auf Albert Einstein. Später erinnerte er sich an diese Begegnung: Einstein fragte »mich nach meinen Plänen.
Einstein Ich sagte, dass ich zauderte, ob ich meiner ursprünglichen Absicht, Medizin zu studieren, weiter folgen oder ob ich besser zur Geschichte überwechseln sollte, einem alten Interesse, das zu einer neuen Leidenschaft geworden war. Für Einstein war dies keineswegs eine Schwierigkeit. Medizin, so sagte er, sei ihrer Methode nach eine exakte Wissenschaft (was ich bezweifle), Geschichte nicht. Ich entschied mich, seinem Rat nicht zu folgen.«
Als Historiker hat Fritz Stern an verschiedenen Universitäten gelehrt, zuletzt an der Columbia University in New York. Unabhängigkeit im Urteil, eine klare, verständliche Sprache, dazu universelle Bildung – es ist ein Vergnügen, mit Fritz Stern zu sprechen, der in Fachkreisen als einer der bedeutendsten amerikanischen Historiker gilt. Wenn er zu Themen der deutschen Gegenwart Stellung nimmt, dann geschieht dies nicht aus einer distanzierten Beobachterposition heraus, sondern aus persönlicher Erfahrung.
Sein Urteil bleibt dabei immer präzise und unbestechlich, oft auch unbequem, etwa wenn er schreibt: »Es ist Teil des deutschen Paradoxons, dass die Deutschen die Geschichte zu einem wesentlichen Mittel der Selbsterkenntnis und der Selbstbildung hochstilisierten, es zugleich aber schwer, wenn nicht gar unmöglich fanden, ihre eigene leidvolle Vergangenheit zu verstehen.«