Joseph Goebbels war, wie er in seinem Tagebuch notierte, »gepackt und zu Tränen gerührt«, als er 1930 die Oberammergauer Passionsspiele besuchte. Nicht minder ergriffen war sein Begleiter Adolf Hitler. Noch Jahre später erinnerte der Naziführer sich bei Tischgesprächen, wie sehr ihn die Darstellung des »jüdischen Geschmeißes und Gewimmels« auf der Bühne des oberbayrischen Ortes beeindruckt hatte. Das Zerrbild eines blutrünstigen jüdischen Mobs, angeführt von hartherzigen, geld- und machtgeilen Hohepriestern, entsprach ebenso der nationalsozialistischen Ideologie wie der christlichen Überlieferung, die Männer wie Hitler und Goebbels geprägt hatte. An diese fast 2.000 Jahre alte Tradition konnten die Nazis anknüpfen, als sie ihr Programm der Ausrottung des Judentums formulierten und umsetzten.
showevent Seit 1634 spielen die Einwohner von Oberammergau die letzten Tage im Leben Jesu nach. Ursprünglich als Danksagung für die Verschonung des Dorfs durch die Pest konzipiert, haben sich die alle zehn Jahre stattfindenden Passionsspiele inzwischen zum Showgroßevent entwickelt, das der Gemeinde Millionen einbringt. Besucher aus aller Welt werden auch dieses Jahr zwischen Mai und Oktober wieder in den 5.000-Einwohnerort im Landkreis Garmisch-Partenkirchen strömen. 1.140 Dollar kostet in US-Reisebüros eine Karte für die sechs Stunden dauernde Vorführung zuzüglich zwei Übernachtungen. Flug- und Transferkosten kommen extra.
Wo so viel auf dem Spiel steht, möchte man schlechte Publicity vermeiden. Den Passionsspielen wird von jüdischen Kritikern vorgeworfen, dem Antisemitismus in die Hände zu spielen. Anders als zu Hitlers Zeiten ist das heutzutage keine Empfehlung mehr. Seit Jahren bemüht man sich deshalb in Oberammergau, die Aufführungen zu entschärfen. In diesem Jahr schien das gelungen zu sein. Keine Geringeren als die Bnai Brith Antidefamation League (ADL) und das American Jewish Committee (AJC) hätten sich mit dem Festspielkonzept auseinandergesetzt, vermeldete die Festivalleitung.
Die ADL hatte das etwas anders in Erinnerung. In einer Presseerklärung vergangene Woche teilte sie mit, zwar seien im Oktober 2009 rabbinische Repräsentanten von ADL und AJC in Oberammergau mit der Festspielleitung und Vertretern der katholischen Kirche zusammengekommen, um über die Passionsspiele zu diskutieren. In einem Brief vom 4. November hätten die Rabbiner Eric Greenberg, Noam Marans und James Rudin dann ihre Besorgnis über Elemente in Text, Bühnenbild und Spielablauf zum Ausdruck gebracht, die »giftige antijüdische Vorstellungen und Wahrnehmungen« befördern könnten. Auf dieses Schreiben habe man jedoch nie eine Antwort erhalten. Eine endgültige Einschätzung des Passionsspiels 2010 werde erst möglich sein, wenn ein Team aus christlichen und jüdischen Wissenschaftlern den Text genau geprüft und einen klareren Eindruck von Dramaturgie, Bühnenbild und Kostümierung gewonnen habe.
»missverständnis« Passionsspielleiter Christian Stückl spricht von einem Missverständnis. »Wir hatten uns auf der Webpage lediglich bei den Rabbinern für die Gespräche bedankt«, sagte er der Jüdischen Allgemeinen. »Wir wollten nicht unterstellen, sie hätten das Konzept abgesegnet. Wir hoffen, dass die Gespräche noch vor der Premiere am 15. Mai fortgesetzt werden – und darüber hinaus. Uns geht es um einen kontiniuerlichen Dialog.«
Mit oder ohne rabbinisches Koschersiegel: Gut besucht werden die Passionsspiele in jedem Fall wieder sein. Ein Gutteil der Vorstellungen ist jetzt bereits ausverkauft.