Kino

Trauer um Jerry Lewis

Jerry Lewis 2013 beim Filmfestival in Cannes Foto: dpa

Wer Jerry Lewis auch nur ein einziges Mal in Fahrt gesehen hat, wird ihn nie vergessen. Sein irres Grimassenschneiden und Herumzappeln, sein Schlappmaul mit der hohen quäkenden Stimme, kurz: sein Charisma einer Nervensäge, deren vorrangige Mission der Unfug ist, ist vielen in unvergesslicher Erinnerung geblieben.

Als Joseph Levitch kam der Sohn eines Unterhaltungssängers und einer Klavierspielerin 1926 in Newark im US-Bundesstaat New Jersey zur Welt. Schon als Fünfjähriger erkannte er, dass Slapstick seine Berufung ist, wie er einmal sagte: »Stolpern, Ausrutschen, Hinfallen«. Da hatte er gerade bei seinem ersten Bühnenauftritt versehentlich einen Scheinwerfer angestoßen und zum Explodieren gebracht. Er heulte, das Publikum lachte.

markenzeichen Viele Jahre später wurde das laute Greinen zu einem seiner Markenzeichen. Das war in jener unbeschwerten Nachkriegszeit, in der Lewis mit Dean Martin zusammenfand. Zuvor hatte er sich nach seinem frühen Schulabgang als Pausenfüller bei Striptease-Shows und Pantomime durchgeschlagen.

Lewis und Martin, die den Spitznamen »The Sex and the Monkey« trugen, bildeten das anarchischste Männerduo seit Stan Laurel und Oliver Hardy. Wie so vieles hat Jerry Lewis von Stan etwa den panischen Hüpfer in starke Männerarme abgeschaut. Doch statt wie Oliver Hardy vor Wut fast zu platzen, amüsierte sich der schöne und coole Dean königlich über die Kapriolen seines Kompagnons.

Noch heute ist das Zusammenspiel der zwei bei ihren improvisierten Auftritten in der Colgate Comedy Show unwiderstehlich anzuschauen – sie können sich selbst kaum das Lachen verkneifen. 1956 trennten sie sich – wegen »zu großer Egos«, wie der untröstliche Lewis in seiner 1982 erschienenen Autobiografie bekannte.

Kino Doch Jerry Lewis, der mit Dean Martin unter anderem in 16 Kinofilmen aufgetreten war, drehte als Regisseur, Autor und Hauptdarsteller erst richtig auf. Mit präzise choreografierten Solo-Blödeleien wie Der Bürotrottel, Der Ladenhüter und Der verrückte Professor erntete er wie gehabt Kritikerschmäh – doch das Publikum liebte ihn.

Paradoxerweise erkannten europäische Kritiker die Bedeutung des Komikers erst, als in seiner Heimat in den 60er-Jahren sein Stern am Sinken war. Insbesondere französische Cineasten sahen in Jerry Lewis das größte komische Genie seit Charlie Chaplin. Sie interpretierten seine kindischen Figuren, die ihre Umgebung und sich selbst sabotieren, als Karikaturen eines Amerika, das nicht erwachsen werden kann. Jean-Luc Godard, gefeierter Regisseur der Nouvelle Vague, ließ sich von Lewis subversiv-grotesken Clownereien gar zu seinem Film Pierrot le fou anregen.

Vielleicht war es diese intellektuelle Wertschätzung, die Lewis den Anstoß gab, ein lange gehegtes Projekt umzusetzen und Anfang der 70er-Jahre mit The Day the Clown Cried (deutsch: Der Tag, an dem der Clown weinte) ein unerhörtes Wagnis einzugehen. 25 Jahre vor Roberto Benignis Holocaust-Tragikomödie Das Leben ist schön versuchte Lewis, dem Schrecken der Konzentrationslager mit den Mitteln des Humors zu begegnen. Das Projekt scheiterte, der Film wurde nie gezeigt.

Sucht Nach diesem Einschnitt war Jerry Lewis, der zudem aufgrund von Bühnenstürzen an schweren Rückenschmerzen litt und jahrelang tablettensüchtig war, für die Rolle des unbefangenen Hanswurstes verloren. Mit brillanten Auftritten wechselte er ins Charakterfach und pflegte dabei seine eigene Legende: etwa 1982 in Martin Scorseses King of Comedy, in Emir Kusturicas Arizona Dream und besonders der Tragikomödie Funny Bones, einer bittersüßen Hommage an den Clownsberuf.

Anders als in Peter Chelsoms Film aber hat Lewis stets auch ein Leben jenseits des Showgeschäfts gehabt. Er war siebenfacher Familienvater und Aktivist für die »Amerikanische Gesellschaft gegen Muskelschwund«. Einen Oscar bekam er 2009 nicht für seine Filmkunst, sondern für sein humanitäres Engagement. In Fernseh-Spendengalas sammelte er mehr als eine Milliarde Spendengelder ein.

Am Sonntag ist Jerry Lewis im Alter von 91 Jahren in Las Vegas gestorben.

Konzerte

Yasmin Levy in München und Zürich

Die israelisch-türkische Künstlerin aus einer sephardischen Familie singt auf Ladino, bzw. Judäo-Spanisch, einer fast vergessenen Sprache

von Imanuel Marcus  15.01.2025

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  14.01.2025

Leipzig

»War is over« im Capa-Haus

Das Capa-Haus war nach jahrzehntelangem Verfall durch eine bürgerschaftliche Initiative wiederentdeckt und saniert worden

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

Krefeld

Gütliche Einigung über Campendonk-Gemälde

An der Einigung waren den Angaben nach die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), das Land NRW und die Kulturstiftung der Länder beteiligt

 13.01.2025

TV

Handgefertigte Erinnerung: Arte widmet Stolpersteinen eine Doku

Mehr als 100.000 Stolpersteine erinnern in 30 Ländern Europas an das Schicksal verfolgter Menschen im Zweiten Weltkrieg. Mit Entstehung und Zukunft des Kunstprojektes sowie dessen Hürden befasst sich ein Dokumentarfilm

von Wolfgang Wittenburg  13.01.2025

Mascha Kaléko

Großstadtdichterin mit sprühendem Witz

In den 20er-Jahren war Mascha Kaléko ein Star in Berlin. Die Nazis trieben sie ins Exil. Rund um ihren 50. Todestag erleben die Werke der jüdischen Dichterin eine Renaissance

von Christoph Arens  13.01.2025

Film

»Dude, wir sind Juden in einem Zug in Polen«

Bei den Oscar-Nominierungen darf man mit »A Real Pain« rechnen: Es handelt sich um eine Tragikomödie über das Erbe des Holocaust. Jesse Eisenberg und Kieran Culkin laufen zur Höchstform auf

von Lisa Forster  13.01.2025

Sehen!

»Shikun«

In Amos Gitais neuem Film bebt der geschichtsträchtige Beton zwischen gestern und heute

von Jens Balkenborg  12.01.2025