Manche Schriftsteller tauchen besonders intensiv in die Materie ein, über die sie schreiben wollen. »Medicus«-Autor Noah Gordon ist ein Beispiel dafür. Am Dienstag ist der Autor kurz nach seinem 95. Geburtstag gestorben, wie seine Familie nun mitteilte.
Geboren 1926 in Worcester, Massachusetts, sollte Gordon eigentlich Medizin studieren und Arzt werden. So wollten es seine Eltern, denn damit wäre er finanziell abgesichert gewesen. Gordon folgte zunächst ihrem Wunsch. Das kostete ihn wenig Überwindung, sein ausgeprägtes Interesse an Naturwissenschaften hielt bis zuletzt an. Größer allerdings war seine Liebe zur Literatur und zum Journalismus.
Journalistik Gordon verband seine Interessen auf produktive Weise miteinander: Nach einem Journalistikstudium arbeitete er als Lektoratsassistent in mehreren New Yorker Verlagen. Vor allem aber schrieb er als Wissenschaftsjournalist für den »Boston Herald«. Zu seinen Aufgaben gehörten dabei auch Berichte über die großen Krankenhäuser und Forschungslabors in Boston.
Um seine im Krankenhaus-Milieu angesiedelten Romane möglichst authentisch schreiben zu können, ließ er sich sogar zum chirurgischen Techniker ausbilden. Später kam noch eine Ausbildung als Notfallassistent hinzu. Inzwischen war er mit seiner Familie aufs Land gezogen und arbeitete für den chirurgischen Notdienst. Dadurch kam er in Berührung mit Notfällen auf den umliegenden Farmen - eine wertvolle Quelle für seine historischen Romane.
Romane zu schreiben war der Traum des Journalisten Gordon - aber er tat sich schwer damit. Er leide am Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS), sagte er einmal in einem »Stern«-Interview. Für ihn sei es eine gewaltige Anstrengung, sich über einen langen Zeitraum auf ein Thema zu konzentrieren. Durchschnittlich vier Jahre arbeitete Gordon an einem Roman, allein für die Recherche benötigte er ein ganzes Jahr.
Und doch gehörte Durchhaltevermögen offensichtlich zu seinen Stärken: Gleich sein erster Roman, »Der Rabbi« schaffte es in die Bestsellerlisten. Die nächsten drei floppten - Gordon machte trotzdem weiter. »Der Rabbi« erschien 1967 in Deutschland. Darin thematisiert er die Liebe, aber auch die Konflikte, denen die Ehe eines Rabbiners mit einer Christin ausgesetzt sind. Gordon ist selbst Jude - und seine Religion einer der roten Fäden, die sich durch seine Romane ziehen.
Das gilt auch für die »Medicus«-Trilogie, mit der er in Deutschland bekannt wurde. 1987 erschien der erste Band »Der Medicus« in deutscher Übersetzung. Rob Cole, Stammvater einer Ärztedynastie und mit besonderem Einfühlungsvermögen begabt, reist darin im 11. Jahrhundert bis nach Persien, um dort die Geheimnisse der Heilkunst zu erlernen.
Faktenwissen Die Mischung aus Spannung, farbigem, historischem Hintergrund und Faktenwissen erreichte in Deutschland ein Millionenpublikum. »Wahrscheinlich hat kein anderes Werk das Bild der Deutschen vom hohen Mittelalter so nachhaltig geprägt wie dieses«, schrieb etwa »Die Welt«. In Spanien ist Gordon geradezu ein Kultautor. Zwei weitere Romane, »Der Medicus von Saragossa« und »Der Katalane«, sind hier angesiedelt.
Der Erfolg in Europa wirkte auf den amerikanischen Buchmarkt zurück, trotzdem war »Der Medicus« in den USA weit weniger erfolgreich. Die beiden Folgeromane »Der Schamane« (1992) und »Die Erben des Medicus« (1995) fallen gegenüber dem ersten Band ab, wurden in Deutschland aber trotzdem in großer Zahl gekauft. Schließlich wollten die Leser wissen, wie es mit den Coles weiterging.
2013 kam die Verfilmung in die Kinos, auch sie wurde zum Welterfolg. Fans und Autor hatten lange darauf gewartet, aber anfangs haderte Gordon mit der stark gekürzten und veränderten Drehbuchfassung. Inzwischen gibt es den »Medicus« auch als Musical.
Zuletzt lebte Gordon in einer Seniorenresidenz, wo er sich um die von ihm und seiner Frau gestiftete Bibliothek kümmerte. Seinen letzten Geburtstag am 11. November habe er mit viel Freude gefeiert, heißt es auf seiner Homepage: »dankbar für das lange und ereignisreiche Leben, das er geführt hat«.