Der französische Filmemacher und Schriftsteller Claude Lanzmann ist tot. Der Regisseur des Holocaust-Zeitzeugenfilms Shoah starb am Donnerstag im Alter von 92 Jahren.
Lanzmann, der 1985 mit seinem fast zehnstündigen Werk Shoah Weltruhm erlangte, war einer der engsten Freunde von Jean-Paul Sartre, über sieben Jahre war er auch der Lebensgefährte der 15 Jahre älteren Simone de Beauvoir. In den 60er- und 70er-Jahren schrieb er für die von Sartre und Beauvoir gegründete Zeitschrift »Les Temps modernes« und wurde deren Mitherausgeber. Seine Erinnerungen (Der patagonische Hase, 2009), aber auch seine zahlreichen Essays und Reportagen bezeugen es: Erstens konnte er fesselnd schreiben, und zweitens muss man ihm keineswegs überall zustimmen.
JUDENHASS Der in Paris als Kind einer seit dem 19. Jahrhundert in Frankreich ansässigen jüdischen Familie geborene Claude Lanzmann hat den Antisemitismus früh kennengelernt, sich aber offenbar nie als Außenseiter empfunden. Seine Eltern trennten sich im Streit, der Vater zog mit den drei Kindern in die Provinzstadt Brioude. Mit der Mutter konnte er nicht allzu viel anfangen. Der Vater hingegen imponierte ihm, vor allem später, als er mit ihm gemeinsam in der Résistance kämpfte.
Bis dahin aber musste sich der junge Claude erst einmal über sein Jüdischsein klar werden. In der Schule erlebte er, wie ein rothaariger Mitschüler, weil er Jude war, von einer Gruppe von Jugendlichen verprügelt wurde. Dann, als einer der Schläger, ihn auch als »kleinen Juden« entdeckte, leugnete Claude – »wie weiland der biblische Petrus: ›Aber, nein, ich bin kein Jude‹.« Von diesem Moment an nahm er sich vor, dass dies das letzte Mal gewesen sei, sich nicht zu seiner Herkunft zu bekennen.
Noch in Brioude schloss Lanzmann sich der Jugendorganisation der französischen Kommunisten an und wurde bewaffnetes Mitglied der Résistance. Zweimal konnte er den Razzien von Miliz und Gestapo im letzten Moment entkommen. Er wusste, dass sein Leben in höchster Gefahr war und er jederzeit hätte gefasst werden können.
Israel In den frühen Jahren nach dem Krieg engagierte Lanzmann sich gegen die Todesstrafe und für die Unabhängigkeit Algeriens. 1947 folgte er einer Einladung des Schriftstellers Michel Tournier, sein Philosophiestudium in Tübingen fortzusetzen. Aber anders als Tournier, der aus seinem Faible für »Les allemands« nie ein Hehl gemacht hat, entdeckte Lanzmann vor allem seine tiefsitzende Abscheu gegenüber den Gewaltverbrechen der Deutschen vor dem und während des Zweiten Weltkriegs.
Anschließend ging er nach Berlin als Dozent an die FU und verkrachte sich in Dahlem mit Amerikanern und Franzosen. Es ging um die aus seiner Sicht unzureichende Entnazifizierung der Universität. Von Berlin, wo sein Bleiben nicht mehr erwünscht war, ging es über Frankreich erstmals nach Israel. Diesen Staat hat Lanzmann von Anfang an gegen alles und jeden verteidigt.
Gegen seinen Freund Sartre wandte er ein, dass die Juden nicht auf die Antisemiten gewartet hätten, um zu existieren; dass sie ein Volk waren, das trotz Pogromen, Verfolgungen und dem Holocaust auf seine Art ein Subjekt der Geschichte war. Das Thema hat er später in zwei Filmen aufgegriffen, in Warum Israel (1972) und Tsahal (1994).
ATTACKEN Unter Lanzmanns Ägide ergriff »Les Temps modernes« in den späteren Nahostkriegen Partei für Israel. Und dann schließlich kam Shoah. Um über dieses Werk, das mit den Mitteln des Dokumentarfilms den Völkermord an den europäischen Juden beschreibt, bewerkstelligen zu können, hat Lanzmann zwölf Jahre lang unter oft äußerst abenteuerlichen und schwierigen Bedingungen recherchiert. Seine »Ermittlungen« waren oft erschlichen unter irgendeinem Vorwand und mit verstecktem Mikrofon.
Oft gingen die Arbeiten nicht weiter, weil das Geld fehlte. In anderen Fällen kam es zu rabiaten Attacken von alten Nazis, deren Aussagen Lanzmann unbedingt für seinen Film benötigte. Und da war die Geschichte von dem patagonischen Hasen, dem er nachts auf einer Straße in Richtung der chilenischen Grenze begegnete.
Beim Anblick des die Fahrbahn überquerenden Hasen hatte er plötzlich das Gefühl der Gewissheit: »Ich bin von der Welt weder übersättigt noch ermattet, und hundert Leben, das weiß ich nur zu gut, würden mich nicht müde machen.«