Verriss

Toxisch

Es gibt Bücher, die verstören, weil sie Horizonte öffnen, die einem bisher verschlossen geblieben sind. Und es gibt Bücher, die eigene Überzeugungen auf den Prüfstand stellen – und solche, die einfach nur ärgerlich sind. Schließlich gibt es toxische Bücher. Eines der schlimmsten derzeit ist Deborah Feldmans Judenfetisch.

»Von der Autorin des Weltbestsellers Unorthodox«, trommelt der Luchterhand Verlag, laut Eigenwerbung »die beste Adresse für große Literatur« auf der Rückseite des grellen Covers. Ja, Unorthodox war ein Bestseller, vor allem bei Menschen, die das Judentum als exotische Sekte sehen, so wie es die Satmarer ja auch sind.

Dass Deborah Feldman dem restriktiven Regime dieser religiösen Ultras in Williamsburg entkam und ihr Glück in Berlin suchte, ist ihr von Herzen zu gönnen. Verständlich, dass sie sich die Dramen von der Seele schrieb – aber es kommt auch auf das Wie an. Immerhin wurde sie schnell zu einer Lieblingsjüdin der Nichtjuden.

Ihre Fans, die Juden für eine, wohlwollend formuliert, exotische Spezies halten, der man günstigstenfalls befangen, aber stets mit implizitem Unbehagen begegnet, dürfen jubeln. Feldman hat sich in Berlin eingerichtet und legt nun mit ihrem jüngsten Buch Judenfetisch nach. Was vielleicht als Sinnsuche gedacht war, artet in eine wirre Kaskade von Klischees, Israelhass und jüdischem Selbsthass aus – und das alles in einer Sprache, die schlimme Assoziationen weckt.

Es geht schon auf der ersten Textseite los. Feldman schildert eine Einreise nach Israel. »Nach meiner Erfahrung gelten zwei Sorten Reisende als höchst verdächtig: die offensichtlich arabischstämmigen mit westlichen Pässen sowie Juden mit denselben.« Es sei denn, man kommt den bösen Grenzern des Judenstaates mit einem Codewort: »Ich bin zur Yad-Vashem-Zeremonie eingeladen.« Das öffnet selbstverständlich Türen; Israelis denken ja ausschließlich an die Schoa – und daran, wie sie Araber malträtieren können.

So wie es beginnt, geht es auch weiter. Feldman will anscheinend Beobachtungen zu Papier bringen, schafft es aber nur, Zerrbilder zu produzieren. Etwa diesen Satz, der schildert, warum sie in Jerusalem lieber in einem arabischen Viertel unterwegs ist: »Ich will nicht von ›unseren‹ Fanatikern auf der anderen Straßenseite erkannt werden, die mir persönlich bedrohlicher vorkommen als jeder islamistische Eiferer.«
Oder das: »Nicht nur die Zionisten nutzten den Holocaust als Grundlage für ein neues, gewaltvolles Dasein …«

Ein paar Zeilen weiter arbeitet sich Feldman, plötzlich sittenstreng, in degoutanter Weise am uralten Kokain-Skandal um Michel Friedman ab, dem, wie sie attestiert, »beliebtesten Juden dieses Landes«. Sie kommt zu folgender Conclusio: »Das öffentliche Bild des Juden ist schon immer von sinnlichem Exzess geprägt gewesen, vom Übermaß der Triebe und Leidenschaften, von raubtierartigen Gelüsten und unmenschlicher Gier.«

Ein anderes Mal schildert die Autorin, wie sie an einer Gruppe spielender orthodoxer Kinder hinter einem Zaun vorbeigeht und vergleicht die »kleinen, tobenden Jungen« mit »großen Kampfhunden«, die in Stellung gehen, »ihre Zähne glänzend vom Speichel der Aufregung«. Die Sprachexzesse und die dazwischen ausgebreiteten wirren Thesen der Autorin lassen sich offenbar nur mit einer posttraumatischen Belastungsstörung erklären.

Ihr unbändiger Hass auf den Zionismus allerdings scheint aus demselben Holz geschnitzt wie die radikale Ablehnung Israels durch die Satmarer. Wie bereits erwähnt: Dieses Buch ist toxisch von der ersten bis zur letzten Seite. Was den Verlag bewogen haben mag, es so auf den Markt zu bringen, das bleibt – abgesehen von der Hoffnung auf einen weiteren Bestseller – im Dunkeln.

Deborah Feldman: »Judenfetisch«. Luchterhand Literaturverlag, München 2023, 272 S., 24 €

Literatur

Die Heimatsuchende

Heute vor 50 Jahren starb Mascha Kaléko. Ihre Dichtung bleibt erschreckend aktuell

von Nicole Dreyfus  21.01.2025

Kulturkolumne

Gogol oder Döblin?

Warum die Liebe zur Literatur stärker ist als Hass auf ein Regime

von Eugen El  20.01.2025

Imanuels Interpreten (4)

Lalo Schifrin: Der Alleskönner

Das argentinische Genie komponiert alles – von Bossa Nova bis hin zu Sinfonien. Seine bekannteste Komposition dürfte die Filmmusik für »Mission Impossible« sein

von Imanuel Marcus  20.01.2025

Meinung

Wenn Freunde peinlich werden

Das Auswärtige Amt hat einem deutsch-israelischen Stand bei der Frankfurter Buchmesse eine Absage erteilt. Ein Armutszeugnis für Außenministerin Baerbock, findet unsere Redakteurin Ayala Goldmann

von Ayala Goldmann  20.01.2025

Kommentar

Bleibt stark, Emily, Romi und Doron!

Die drei jungen Frauen sind endlich in Israel. Emily Damari gab nach ihrer Freilassung ein Zeichen, das ihren Schmerz zeigt – aber viel mehr noch ihre Kraft

von Katrin Richter  19.01.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Katrin Richter  19.01.2025

Meinung

Verrat an Frauen und an der Mitmenschlichkeit

Wie viele Fälle sadistischer Gewalt müssen noch nachgewiesen werden, damit die Welt endlich Mitgefühl mit den Opfern des 7. Oktober zeigen kann?

von Sarah Maria Sander  19.01.2025

Gedenkkultur

Virtuell zu Besuch bei Überlebenden des Holocaust

Es gibt immer weniger Schoa-Überlebende. Wie können ihre Erinnerungen weitergegeben werden? Ein neues Projekt setzt auf »Virtuelle Begegnungen«

von Michael Grau  19.01.2025

TV-Tipp

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Drama über einen jüdischen Belgier, der als angeblicher Perser in einem Konzentrationslager einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll

von Michael Ranze  19.01.2025