Oded Breda ist Fußballfan, und darüber, wie sein geliebter Sport im KZ Theresienstadt betrieben wurde, hat der 60-jährige Israeli einen Dokumentarfilm, Liga Terezin, gedreht. »Fußball war definitiv nicht das wichtigste Ereignis in Theresienstadt«, sagt Breda, aber dies, die Relevanz des nicht so Wichtigen, hat Oded ein paar Jahre lang beschäftigt, es war wichtig genug, damit er seinen Job in der IT-Branche schmiss, und es hat ihn nicht nur deswegen beschäftigt, weil sein Onkel, Pavel Breda, 1944 in Auschwitz umgekommen, in der Theresienstädter Fußballliga kickte.
340 Menschen sind in den Berliner Bezirk Neukölln gekommen, meist sehr jung. Fußballfans, Politaktivisten, historisch Interessierte. »Das größte Auditorium außerhalb von Israel«, sagt Breda. »Heimathafen Neukölln« heißt die Location an der Karl-Marx-Straße, für Konzerte ist sie sehr angesagt seit einigen Jahren.
Eine Frau vom »Heimathafen« spricht ein kurzes Grußwort: Schon früher, in den 20er- und 30er-Jahren, sei hier getanzt worden, auch Boxabende hätten hier stattgefunden, doch auch dies: NSDAP-Veranstaltungen und, wie sie sagt, »Schlimmeres«. Der große Saal, der heute Heimathafen Neukölln heißt, wurde ab 1942 als Lager genutzt, wo Möbel und anderer Besitz, der deportierten Neuköllner Juden gestohlen wurde, zwischengelagert wurde.
Fußball So nah kann NS-Terror sein. Und da ist der Bogen zum Fußball nicht mehr so weit, wie es vielleicht zunächst scheinen könnte. Im KZ Theresienstadt gab es tatsächlich drei Jahre lang nicht nur Fußballspiele, sondern eine wirkliche Liga. Sport wurde in fast allen KZ betrieben, aber diese Liga war einzigartig. Es gibt auch Filmmaterial davon: 1944 ließen die Nazis einen Film drehen, dessen inoffizieller Titel Der Führer schenkt den Juden eine Stadt lautete. Regisseur war der jüdische Schauspieler Kurt Gerron. Er, wie auch fast alle Darsteller, die in dem Propagandastreifen zu sehen waren, wurden kurze Zeit später nach Auschwitz deportiert und ermordet.
In dem Film sieht man ein Fußballspiel: Im Innenhof eines großen Gebäudes spielen sieben gegen sieben Männer, etliche Zuschauer, die meisten mit dem gelben »Judenstern« auf der Brust, schauen sich das begeistert an. Eine der eindrücklichsten Szenen von Bredas Film ist, wie er über den alten Film neue Bilder gelegt wurden, wie Oded Breda selbst, in einem Trikot, auf dem »Jugendfürsorge« steht – das Team, für das sein Onkel Pavel kickte -, in dem Innenhof läuft, den Ball führt und schießt.
Peter Erben, ein früherer Spieler in dieser bizarren Liga, sagt im Film: »Ich bin sehr glücklich, dass diese Filme entdeckt wurden.« Er habe doch kaum jemand erzählen können, was er erlebt habe, wie der Alltag im Grauen des KZ war, niemand habe ihm doch seine Geschichte vom Fußball dort geglaubt.
Schauplätze Oded Breda hatte auf einem Standbild des Films seinen Onkel entdeckt. Das ging ihm nicht aus dem Sinn, er hat recherchiert, hat tatsächlich noch Überlebende getroffen: einen früheren Spieler, einen früheren jugendlichen Fan, einen dänischen Juden, der zum Filmteam von Kurt Gerron gehört hatte, er hat Fußballexperten und Filmhistoriker aufgesucht. Zusammen mit zwei anderen Israelis, Mike Schwartz und Avi Kanner, legte er los, sammelte Geld, suchte die Schauplätze auf und filmte.
Es wurden 50 Minuten, die mehr erzählen als nur den Fußball in Theresienstadt. Breda suchte Prag auf, wo der Historiker Toman Brod, der als Kind die Liga Terezin gesehen hatte und trotz seiner Liebe zum Fußballklub Sparta Prag 70 Jahre lang kein Stadion betreten wollte, mit Breda und dem Kamerateam ein Spiel von Sparta gegen den Liverpool FC besucht. »Ich habe Angst«, bekennt Brod.
Angst vor den Massen, Angst vor den gewalttätigen Fans, und der ältere Herr berichtet von der Aktualität des Antisemitismus im tschechischen Fußball. Ähnliches passiert in Amsterdam, wo Breda und sein Team ein Länderspiel der Niederlande gegen die Türkei besuchen. Junge Holländer mit türkischen Wurzeln brüllen heraus, wie fremd sie sich in ihrem Land fühlen und dass sie hundertprozentige Türken blieben. Das Länderspiel wurde abgebrochen, ein Feuerwerkskörper war aufs Spielfeld geschmissen worden.
»Karneval« nennt Simon Kuper das. Er ist Fußballjournalist, einer der renommiertesten der Welt, und er legt Wert darauf, dass die Dimensionen nicht verrückt werden. Das alles sei kein Krieg und kein Genozid, das seien geworfene Böller, sagt er. »Wir Juden sollten das wissen.«
Islamophobie In der Diskussion nach dem Film sind sich die Filmemacher, Oded Breda und Mike Schwartz, nicht ganz sicher, ob sie diese Einschätzung teilen. Auch die Rede von der Islamophobie, die im Film angesprochen wird, vermögen beide nicht so ganz zu beurteilen. »Es hatte immerhin etwas Prophetisches, als wir vor vier Jahren«, da wurde die Interviews in Amsterdam geführt, »von Islamophobie sprachen«, sagt Breda mit Blick auf Pegida – und andere Bewegungen in Deutschland.
Vieles ist nicht ganz entschieden in diesem Film, an diesem Abend, doch die Verunsicherung ist begründet und sympathisch. Wie wichtig war der Fußball in Theresienstadt? Wie sehr wirken die von den Nazis in Auftrag gegebenen, ja, im Grunde erzwungenen Propagandabilder der glücklichen Fans und der vor Kraft nur so strotzenden Spieler heute noch? Der niederländische Filmhistoriker Karel Magry kann da ein bisschen helfen. Die Fußballszenen im Film seien bemerkenswert lang, sagt er, »das ist mit der Propagandaidee der Nazis zu erklären«. Die hätten auf die heile Welt, die ein aufregendes Spiel suggeriert gesetzt.
Trikots Magry präsentiert in Bredas Dokumentation noch einen zweiten Film, gedreht 1942, von einer jüdischen Regisseurin, die in Theresienstadt inhaftiert war. Dort ist ein ganz anderes Spiel der Liga Terezin zu sehen: auf einem Matschfeld, nur wenige Zuschauer, keine schönen Trikots, und als ein SS-Kommondo durchs Bild marschiert und die Kamera mitschwenkt, sieht man auch das Krematorium von Theresienstadt.
Mike Schwartz, der mit Breda zusammen den Film gemacht hat und im Hauptberuf bei CNN als Producer arbeitet, hat eine eigene Sicht auf das Thema. Man dürfe, sagt er, ja nicht vergessen, dass sich das Gedenken an die Schoa in diesen Jahren dramatisch ändere. »Wie der Holocaust künftig gesehen wird, ist offen.« Zu dem neuen Gedenken, das es bräuchte, wenn die Zeitzeugengeneration nicht mehr da ist und nicht mehr authentisch Auskunft gibt, gehöre doch auch der Fußball. Oded Breda sieht das auch so. »Fußball ist ein Schlüssel, um höhere Aufmerksamkeit zu erzielen«, sagt er. »Ich hoffe, dass der Fußball die Menschen dafür interessiert, sich die ganze Geschichte anzuhören.«
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