Am Samstagabend beginnt in Frankfurt am Main die Tagung »Antisemitismuskritische Antisemitismusforschung nach dem 7. Oktober 2023«. Die Veranstaltung wird vom Tikvah Institut in Kooperation mit Julia Bernstein von der Frankfurt University of Applied Sciences (UAS) organisiert und findet in den Räumen der Hochschule statt.
Das Tikvah Instituts kündigt einen interdisziplinären Dialog, die Einbeziehung jüdischer Perspektiven sowie »kritische Ansätze in der Antisemitismusforschung statt bloße Antisemitismushistoriographie« an.
Bei der Konferenz sollen »der Stand der Antisemitismusforschung nach dem 7. Oktober 2023 aus verschiedenen Perspektiven« beleuchtet und relevante Fragen erörtert werden: »Was sagen neuere Studien zum Antisemitismus in Deutschland? Was muss getan werden, um der gegenwärtigen Situation auf Forschungsebene gerecht zu werden? Wie reagierte der Wissenschaftsbetrieb auf die antisemitische Welle, die nach dem Massaker der Hamas durch unsere Gesellschaft rollte?«
Unmittelbare Auswirkungen
Deidre Berger, Co-Gesellschafterin des Tikvah Instituts, erklärte im Vorfeld, die Debatten zu Antisemitismus und Wissenschaftsfreiheit würden immer schärfer geführt. »Oft wird dabei Antisemitismus nur als klimatisches Problem in der deutschen Mehrheitsgesellschaft gesehen, ohne dass dabei die unmittelbaren Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen und Juden und die damit verbundenen Einschränkungen ihrer Handlungsfreiheit im Alltag wahrgenommen werden.«
»Deshalb legen wir bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Rahmen unserer Herbstakademie ein besonderes Augenmerk auf jüdische Perspektiven und Erfahrungen«, so Berger.
»Seit dem Massaker der Hamas und dem Gaza-Krieg hat sich israelbezogener Antisemitismus als Brandbeschleuniger des Judenhasses erwiesen«, sagte Tikvah-Geschäftsführer Volker Beck. »Angriffe und Drohungen gegen Jüdinnen und Juden, Brandanschläge auf Synagogen sind keine Kritik an Netanjahu oder der israelischen Politik. Auch die Wissenschaft muss lernen - trotz Distanz zu israelischen Politik - die Funktion des Israelhasses im aktuellen Antisemitismus zu erkennen und zu benennen.«
Beck und Becker
Im Rahmen der dreitägigen Konferenz ist eine Diskussion über diese Fragen vorgesehen, an der Wissenschaftler, Studierende und die interessierte Öffentlichkeit teilnehmen sollen. Vorträge, akademische Präsentationen und Podiumsdiskussionen stehen auf dem Programm. Der Eintritt ist frei.
Nach der Begrüßung durch Uwe Becker, den Antisemitismusbeauftragten des Landes Hessen, UAS-Präsident Kai-Oliver Schocke und Volker Beck, den Geschäftsführer des Tikvah Instituts, sowie einem Empfang starten die Diskussionen und Vorträge am Sonntagfrüh.
Ein Panel zum Thema »Aktuelle Studien und jüdische Perspektiven« mit dem Politikwissenschaftler Richard Traunmüller, den Soziologen Thomas Hinz und Julia Bernstein sowie der Juristin Orna von Fürstenberg macht den Anfang, bevor Bernstein über die »Auswirkungen des 7. Oktober 2023 auf Jüdinnen & Juden in Deutschland« spricht.
Islamistischer Judenhass
Es folgen Ausführungen zum »Mangelnden Forschungsstand zu gegenwärtigem jüdischem Leben in Deutschland«, die Vorstellung einer »Dunkelfeldstudie zu Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen« sowie einer Interviewstudie der dortigen Landespolizei unter dem Titel »Wahrnehmungen von Antisemitismus und jüdischem Leben bei der Polizei«.
Im Lauf der Veranstaltung wird auch der islamistische Antisemitismus diskutiert. Ein weiteres Podium soll sich mit »Sozialpsychologischen Analysen von Israelhass« beschäftigen.
Weitere Themen sind »Lateinamerika als Leerstelle der Antisemitismusforschung« und »Der 7. Oktober 2023 im anthroposophischen Feuilleton: Israel-Bilder einer antiintellektualistischen Intellektuellenreligion«. Rabbiner Ari Berman, der Präsident der Yeshiva University in New York, spricht über Judenhass im akademischen Kontext auf seiner Seite des Atlantischen Ozeans.
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, spricht ein Grußwort.
Ausstellung von »Students 4 Palestine«
Die Gruppe »Students 4 Palestine« veranstaltet am Montagabend zeitgleich zur Tikvah-Konferenz eine »Ausstellung« mit dem Titel »Erkenntnis« auf dem Campus der UAS, mit der »auf die aktuelle sowie die historische Lage in Gaza und in Palästina aufmerksam« gemacht werden solle.
In dem Ankündigungstext heißt es: »Seit 75 Jahren herrscht nun eine tödliche Besatzung in Palästina, seit einem Jahr macht sich Deutschland mitschuldig an einem Genozid in Gaza.« Der Genozid-Vorwurf wir häufig genutzt, um Israel zu delegitimieren, und da sich erst seit dem Sechstagekrieg von 1967 palästinensische Gebiete unter israelischer Besatzung befinden, kann in dem Text nur ganz Israel gemeint sein. Damit wird implizit das Existenzrecht Israels abgelehnt.
Unklar ist bisher, ob »Students 4 Palestine« mit ihrer Veranstaltung auch gegen die Antisemitismus-Konferenz mobilisieren will. ja