Antisemitismus hat Saison. Statt »Er ist wieder da« muss es ohnehin heißen »Er war nie weg«. Aber die Fassungslosigkeit bleibt. Vielleicht, weil wir in Europa leben, versuchen Menschen deshalb immer wieder, mit Büchern nach dem Monster zu werfen. Wohl in der Hoffnung, es wenigstens kurz abzulenken. Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein? Über den Antisemitismus im Alltag heißt nun der jüngste Versuch. Geworfen von Thomas Meyer.
Genau, der Schweizer Autor, der uns mit dem notorisch unglücklich verliebten Charedi Motti Wolkenbruch zum Lachen gebracht hat. Diesmal ist Meyer das Lachen allerdings leid.
klischees Als er nach dem Anschlag von Halle selbstredend zig Interviews zum Thema Antisemitismus geben musste, stellte er fest: »Es würde mich freuen, müsste ich mich nur in solchen Momenten mit Antisemitismus auseinandersetzen. Tatsächlich muss ich es ständig. Immer wieder konfrontieren mich Freunde und Bekannte mit antisemitischen Klischees.«
Weil selbst Freunde, mit ihren antisemitischen Sprüchen konfrontiert, sich weder entschuldigen noch Verständnis zeigen, hat Meyer jetzt diesen buchlangen Brief an Nichtjuden geschrieben. Auch damit er »endlich mal ausreden kann«.
In 14 Kapiteln beschreibt und zerlegt er den Antisemitismus, die Ignoranz, die Empathielosigkeit, die DNA-tief-sitzenden Vorurteile selbst bei nahestehenden Menschen, die sich lauthals empören, sobald Meyer auf die verletzenden Worte hinweist – »War doch nur ein Witz«. Die ihn sogar angreifen, »weil der Jude sich wohl für etwas Besseres hält«. »Ich kann diese Probleme lösen, indem ich mich von ihren Urhebern löse«, schreibt Meyer. »Was leider die einzige Maßnahme ist, denn Logik und Anstand bringen hier nichts.«
hoffnung Eine einsam machende Lösung, bis Meyer klar wurde, »dass hier nicht der Eifer der Überzeugung tobte, sondern der Existenzkampf des verletzten Egos. Ich hatte die Menschen nicht aufgeklärt. Ich hatte sie bloßgestellt«. Auch deshalb dieses Buch, denn wenn die Menschen die Wurzel ihrer Vorurteile ausgraben würden, könnten sie sie auch ausreißen, so die Hoffnung des Autors.
Und nun ist Meyer im Schwung und packt an unser aller Nasen: Denn: Keiner ist ohne Vorurteile. Der überraschende 180-Grad-Dreh schafft ein Wir, das die Welt dringend braucht. Insofern ist Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein? ein großer Volltreffer.
Thomas Meyer: »Was soll an meiner Nase bitte jüdisch sein?«. Salis, Zürich 2021, 120 S., 18 €