Sie war meine imaginäre Lieblingstante – witzig, wild, uneitel, unberechenbar – und hatte mehr Lebenslust im kleinen Finger als alle anderen Erwachsenen. Keine konnte besser kreischen und mit den Augen rollen, und keiner hätte je gewagt, ihr dumm zu kommen.
Ich weiß nicht, wie häufig ich an verregneten Sonntagnachmittagen Die unglaubliche Entführung der verrückten Mrs. Stone gesehen habe. Ich liebte sie in Zoff in Beverly Hills und als kinderfressende Hexe in Hocus Pocus. Bette Midler, das war Mensch gewordene Chuzpe, so viel Mut, Offenheit und Stärke. »Was würde Bette tun?«, war eine Krücke im anstrengenden Prozess des Teenagertums.
Aber wie die meisten Helden der Kindheit geriet auch sie in Vergessenheit, bis zu einem Abend, Jahre von Lebenserfahrung später, als ich auf The Rose stieß. Das war der Augenblick, als die ehemalige Lieblingstante als beste Freundin auferstand.
seele The Rose, Midlers erste Hauptrolle aus dem Jahr 1979, ist inspiriert vom tragischen Leben Janis Joplins. Erzählt wird die Karriere einer begnadeten Sängerin, die von der Musikindustrie durchgekaut und ausgespuckt wird. Eine sehr junge Midler spielte diese Rock-Sirene mit allem, was sie hatte, und ließ die Kamera direkt in die tiefsten Ecken ihrer Seele filmen. Es brachte ihr eine Oscar-Nominierung. Dann entdeckte ich auch noch Freundinnen über den Verlauf einer Frauenfreundschaft seit Kindertagen, die Hochs und Tiefs im Leben, das Lieben und Hassen mit einem sehr traurigen Ende.
Wer war diese Frau, die mich in meinem Leben immer wieder im richtigen Moment emotional abholte, die aus den Zitronen des Alltags die beste aller Limonaden zu machen schien? Oh, so viel mehr als die verrückte Mrs. Stone!
Hawaii Geboren wurde Bette Midler 1945 auf Hawaii. Das Leben im Urlaubs-Paradies anderer Leute war für die Familie ziemlich hart: »Wir waren die einzige weiße Familie in der Nachbarschaft«, berichtete Midler in Interviews. »Und jüdisch! Wir waren die anderen, und das ließ man uns spüren.« Seitdem sei Bigotterie ein rotes Tuch für sie, »ich habe genug davon erlebt. Es ist grausam und unfair«.
Midler steht in der Tradition jüdischer Komikerinnen wie Sophie Tucker und Totie Fields.
Midler wusste früh, was sie werden wollte: ein Star. So wie sie es in den Hochglanzmagazinen gesehen hatte. Und ganz im Sinne ihrer Mutter, die die Geschichten aus Hollywood so sehr liebte, dass sie ihre Tochter gleich nach Bette Davis benannt hatte. Das Kind sang und tanzte sich durch die Jugend, jobbte in einer Dosenfabrik, und 1970, da war sie 19, brach sie auf nach New York, dem mystischen Zentrum des Showbusiness.
New York Nach einem Kurs bei Schauspiel-Legende Lee Strasberg und zig Vorsprechen landete Midler tatsächlich eine Rolle am Broadway: als Tzeitel in The Fiddler on the Roof. Doch nach drei Jahren hatte sie genug. Sie wollte die Gegenkultur New Yorks erleben, die Kabarett- und Homosexuellen-Szene. »Da wurde eine riesige Party gefeiert, und ich wollte dabei sein!«
Midler trat in jedem Klub auf, der sie ließ, und begeisterte ihr Publikum mit ihrer einzigartigen Stimme und ihren obszönen Witzen. Zuweilen wurde sie begleitet von einem noch unbekannten Pianisten namens Barry Manilow.
Natürlich wurde sie entdeckt und tourte schließlich mit ihrer Show The Divine Miss M durch ganz Amerika. Sie perfektionierte ihre Songs, brach mit ihren Witzen jedes Tabu und trug Kostüme, die eine Lady Gaga vor Neid erblassen lassen würden. Sie war ungeheuerlich, angstfrei, wunderbar verrückt und ein Riesenerfolg. Ihr erstes Album verkaufte sich mehr als eine Million Mal.
In der Tradition anderer großer jüdischer Komödiantinnen, die mit dem Ordinären spielten, wie Sophie Tucker oder Totie Fields, arbeitete Midler an der eigenen Legende. Da war sie noch nicht mal 30. Mit dem einzigen Ziel, dass ihr Publikum nach der Show gut gelaunt nach Hause gehe.
Das vertraute Midler nach dem Erfolg mit The Rose in einem TV-Interview Barbara Walters an: »Ein großer Teil meines Lebens ist es, Mitleid mit den Menschen zu haben. Menschen sind nicht besonders nett. Sie haben alles, was sie brauchen, um großartig und großzügig zu sein, aber sie nutzen es nicht. Das macht mich traurig. Und dann gehe ich auf die Bühne und bringe sie zum Lachen. Dann ist es für eine Weile gut.«
In ihrer neuen Rolle spielt sie eine stolze New Yorker Jüdin, die sich mit Trump-Anhängern anlegt.
Fast zehn Jahre lang sorgte The Divine Miss M dafür, dass es für eine Weile gut war. Dann kam das Angebot aus Hollywood für The Rose, dessen Tiefe und Ernsthaftigkeit für Fans wie Kritiker eine Überraschung war. Aber Midler schlug wieder einen Haken, und der führte sie 1986 in eine wilde Hollywood-Komödie namens Zoff in Beverly Hills. Komödie folgte auf Komödie und formte die Bette Midler ihrer jüngsten Fans.
Ihren größten Kinohit feierte sie 1996 mit Die Teufelinnen, in dem sich Midler, Diane Keaton und Goldie Hawn an ihren untreuen Männern rächen. 100 Millionen Dollar spielte die Frauenpower ein.
Zwischendurch hat Midler geheiratet: den deutschen Performancekünstler Martin von Haselberg. 1984, sechs Wochen, nachdem sie ihn kennengelernt hat. Die Ehe hält bis heute und hat Tochter Sophie hervorgebracht. Der Vater hielt der Mutter den Rücken frei.
twitter 2007 kehrte The Divine Miss M zurück, und zwar mit einer eigenen Show in Las Vegas. Da war Midler 62. Mit 72 stand sie mit Hello Dolly am Broadway wieder auf der Bühne. 2010 hat Midler übrigens Twitter für sich entdeckt, und man kann nun täglich nachlesen, »was Bette tun würde«: politisch und persönlich provozieren, anecken und amüsieren. Seit 2019 tut sie das auch in der Serie The Politician als durchtrieben-intrigante Politberaterin.
Auch wenn Corona und Trumps Amerika ihr Angst machen, wird sie nicht leise. Im neuen Social-Distance-TV-Drama Coastal Elites spielt sie eine stolze New Yorker Jüdin, die sich mit einem Trump-Anhänger anlegt.
»Wir dürfen die Hoffnung nicht verlieren und müssen stark sein, dagegenhalten«, sagt Midler. Sie sei keine Intellektuelle, aber ein kluges Köpfchen, habe Andy Warhol einmal gesagt. »Ich wusste immer sehr genau, wer ich bin!«
Am 1. Dezember nun wird das kluge Köpfchen 75. Mazal tov, Bette Midler!