Wäre es nach Sergio Leone gegangen, würde man sich heute außerhalb Israels an Chaim Topol als einen Zigarillo rauchenden Helden in Spaghetti-Western erinnern. Der italienische Regisseur hätte den israelischen Schauspieler gerne an der Seite von Clint Eastwood eingesetzt. Doch Topol wollte keine Handvoll Dollar. Ihm waren israelische Lirot lieber. Vor allem aber wollte er mit seinem Freund Ephraim Kishon in dessen Tel-Aviv-Film Erwinka zusammenarbeiten. Eine kluge Entscheidung: Denn was sollte ein Multitalent wie Chaim Topol, der eine wunderbare, klangvolle Stimme besitzt, in einem Western, in dem die Pferde mehr Text bekommen als die Revolverhelden? Außerdem war die Arbeit mit Kishon vergnüglicher, als sie mit Leone gewesen wäre. Schon weil der Schauspieler und der Autor sich gut kannten. Kishon und Topol arbeiteten zum ersten Mal Mitte der 50er- Jahre in der Lahakat Ha-Nachal eng zusammen, einer legendären Gesangsgruppe der Armee. Für sie erfand Kishon die von Topol genial verkörperte Figur des orientalischen Einwanderers »Sallach Shabati«, der sich in der neuen Heimat ohne Geld, dafür mit Witz und Chuzpe zurechtfinden muss. Der rebellische Neueinwanderer begeisterte vor allem das sefardische Publikum. 1964 entstand aus der Figur Kishons erster Film. Sallach Shabati wurde in wenigen Wochen gedreht, für den Oscar nominiert und brachte Topol einen Golden Globe ein.
verwandlungskünstler Chaim Topol sitzt in seiner Wohnung in Tel Aviv, der Stadt, in der er vor 75 Jahren, am 9. September 1935, geboren wurde, und erinnert sich an den einzigartigen Erfolg von Sallach Shabati. »Es gab Leute«, weiß der Schauspieler noch, »die sahen sich den Film sieben, acht, neun Mal an. Damals hatte Israel ungefähr 1,7 Millionen Einwohner, und für den Film wurden 1,4 Millionen Karten verkauft! Man ging alle zwei Wochen ins Kino, manche sogar jede Woche, um sich Sallach Shabati anzusehen. Das war so ein Ritual.« Bewirkt, seufzt Topol, habe der obrigkeitskritische Film allerdings nichts: »Unsere Politiker arbeiten noch immer mit denselben Tricks, wie man sie in dem Film sieht.«
Das verblüffende Talent des damals jungen Topol, Figuren zu spielen, die doppelt so alt waren wie er, brachte ihm zwei Jahre später die Rolle eines Beduinenscheichs in der US-Produktion Der Schatten des Giganten ein. Seine Partner waren Weltstars wie Kirk Douglas, Yul Brynner, John Wayne, Frank Sinatra und Senta Berger. »Bei den Proben«, erinnert sich Topol, »las ich meinen Part, und Kirk Douglas fragte: ›Hier geht es doch um einen alten Beduinen, oder?‹ Shavelson, der Regisseur, nickte: ›Ja, stimmt genau.‹« Als Douglas dem »alten Beduinen« später auf dem Set gegenüberstand, konnte er kaum glauben, dass sich der noch nicht einmal 30-jährige Topol hinter der Maske verbarg.
Topols Talent, sich in Bewegungen, Tonfall und Mimik in einen 60-Jährigen zu verwandeln, brachte ihm auch die Rolle ein, für die er weltberühmt wurde, den Tewje in dem Musical Fiddler on the Roof, in Deutschland als Anatevka bekannt. Dabei mochte Topol das Stück anfangs überhaupt nicht. Er hatte eine Aufführung mit Zero Mostel als Tewje in New York ge-sehen und war überzeugt, dass das Stück mit seiner Galutnostalgie in Israel nie Erfolg haben würde. Erst als Topol den betagten Shmuel Rodensky ein Jahr später in der Rolle des Tewje in der israelischen Aufführung sah, begriff er, dass Fiddler on the Roof, richtig gespielt, keine Schtetl-Klamotte ist. Als dann Rodenskys Arzt Topol bat, den alten Mimen drei Mal die Woche auf der Bühne zu vertreten, sagte der junge Mann zu. Es war der Schritt zum Weltruhm. Als Hollywood 1971 das Musical verfilmte, wurde der Tewje mit Topol besetzt. Für die Rolle bekam er seinen zweiten Golden Globe und eine Oscar-Nominierung.
Zedaka Wäre es nach Topol gegangen, hätten noch zwei weitere israelische Stars mit dem Film Weltruhm erlangt: die in Berlin geborene Schauspielerin Chana Maron und Assi Dayan. Beide hatten auf Topols Vorschlag hin einen Termin für einen Screentest erhalten und wollten am 10. Februar 1970 über München nach London fliegen. Bei der Erinnerung atmet Topol tief ein. »Als sie umstiegen, wurde auf dem Flughafen dieser terroristische Anschlag mit Handgranaten verübt. Und Chana verlor dabei einen Fuß. Ich fahre eigentlich nie nach Deutschland. Aber damals reiste ich zum ersten und letzten Mal dorthin, um Chana in München im Krankenhaus zu besuchen. Es macht mir bis heute zu schaffen, dass sie wegen meines Vorschlags, die Rolle in dem Film zu übernehmen, dort gewesen war. Das lastet auf meinem Gewissen. Aber wir sind gute Freunde geblieben.«
Vergangenes Jahr hat Chaim Topol noch einmal als Tewje bei einer USA-Tour Triumphe gefeiert. Doch die wichtigste Leistung seines Lebens ist nach seiner Überzeugung kein Film und kein Theaterstück, sondern sein langjähriges Engagement für das »Jordan River Village«, das er im Jahr 2000 mit seinem Freund, dem verstorbenen Schauspieler Paul Newman, initiiert hat. In dem israelischen Kinderdorf, das kurz vor seiner Fertigstellung steht, sollen unheilbar kranke jüdische und arabische Kinder gemeinsam unentgeltlich Ferien machen können. Der in Armut aufgewachsene Sänger, Schauspieler, Regisseur, Maler und Schriftsteller Chaim Topol hat sich den Blick für die wesentlichen Dinge des Lebens bewahrt.