Raubkunst

Systematische Recherche

Präsentation des Blechen-Gemäldes in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe: Das Bild war bis 1934 im Familienbesitz des Berliner Zeitungsverlegers Rudolf Mosse. Foto: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe / Annette Fischer

Es begann mit einer italienischen Landschaftsimpression. Gemalt rund 100 Jahre vor Hitlers Machtergreifung, führte der Blick auf das Kloster Santa Scolastica bei Subiaco, wie Carl Blechen ihn festhielt, jetzt zu einem Sinneswandel in San Francisco: Der »beispielhaft verantwortungsvolle Umgang der Kunsthalle Karlsruhe mit dem jahrzehntelang unrechtmäßig in ihrem Besitz befindlichen Gemälde aus der Sammlung Mosse« habe die Sichtweise der Erben verändert, teilte der kalifornische Leiter des Mosse Art Restitution Project (MARP), J. Eric Bartko, mit, der deren Interessen mit Unterstützung der Berliner Kanzlei Raue LLP wahrnimmt. MARP fahndet nach denjenigen Kunstgegenständen, die der Familie des namhaften Berliner Verlegers und Philanthropen Rudolf Mosse in der NS-Zeit entzogen worden waren.

Blechens Bild entstand 1832. Es war fast vier Jahrzehnte – von 1898 bis 1934 – im Familienbesitz. Der Medienunternehmer Mosse hatte ein exzellentes Auge für Qualität und teilte wohl die typisch deutsche Italiensehnsucht. 15 Kilometer südlich von Berlin ließ er 1896 Schloss Schenkendorf bei Mittenwalde im italienischen Landhausstil als Sommersitz entwerfen.

In Karlsruhe zählt Blechens Klosterbild zu den Hauptwerken des 19. Jahrhunderts. Die perspektivisch eigenwillige Auffassung der im Licht des Südens badenden trutzigen Klostermauern, die als Krönung einer Felskulisse mit sparsamem Bewuchs dienen, ist eine Frucht der Italienreise, die der gebürtige Cottbuser 1828/29 unternahm. Im Anschluss daran entstand binnen weniger Jahre der wesentliche Teil seines Oeuvres im Berliner Atelier: An der Spree pflegte Blechen die in Italien erstellten Skizzen bildhaft umzusetzen.

erkenntnisse Blechens Klosteransicht war es, die über mehrere Etappen nunmehr die Gründung der Mosse Art Research Initiative (MARI) auf den Weg brachte, die MARP ergänzt – und gewissermaßen dessen Voraussetzung ist. Denn ohne Recherche keine Restitution. Das Neue ist das systematische Vorgehen und die Bereitstellung eines Etats von einer halben Million Euro.

Unter der Leitung von Meike Hoffmann von der Freien Universität Berlin (FU) will MARI die Sammlung Mosse vollständig rekonstruieren. Die Darstellung eines katholischen Klosters aus einer hochbedeutenden Sammlung bereitete so den Boden für ein einzigartiges deutsch-jüdisches Vorhaben, das im Zeichen von Gerechtigkeit und Aussöhnung steht. Zudem verspricht man sich Erkenntnisgewinn bezüglich der Kollektion eines Mannes, der ähnlich universal interessiert war wie die italienischen Humanisten der Renaissance.

Mosse mochte Böcklin, Corinth und Liebermann, aber auch Kunstwerke der Antike. Unter den sieben Objekten, die die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) restituiert hat, befinden sich ein römischer Sarkophag mit Eroten, eine marmorne Susanna von Reinhold Begas aus dem Jahr 1870 und ein Eingeweidekrug aus Alabaster: »vermutlich 26. Dynastie«. »In der Lost-Art-Datenbank des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste lassen sich derzeit etwa 1000 Werke recherchieren«, erklärt Birgit Jöbstl von der SPK. Nach Ansicht von Roger Strauch, gemeinsam mit seinem Bruder Hans Treuhänder der Familienstiftungen, ist jedoch nach »mehreren Tausend« zu suchen.

ermittlung »MARI ist ein beispielloses und sehr außergewöhnliches Projekt, auch aufgrund des Umfangs und der Bedeutung der ehemaligen Sammlung Mosse«, sagt SPK-Präsident Hermann Parzinger. Jede Initiative, die dazu beitrage, das Unrecht der NS-Zeit aufzuarbeiten und herauszufinden, wo sich welches NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgut befindet, sei »sehr zu begrüßen«.

Bei J. Eric Bartko in San Franscisco laufen die Fäden zusammen. »Von ihm haben wir im Mai 2014 ein erstes Anwaltsschreiben bekommen«, sagt Tessa Friederike Rosebrock, Provenienzforscherin an der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. Die Ermittlungsabteilung von Bartko Zankel Bunzel & Miller hatte sich an das Museum gewandt, in dessen Besitz sich Blechens Werk seit 1969 befand. Rosebrock konnte Rudolf Mosse als früheren Besitzer identifizieren.

Das Bild wurde rasch restituiert, durfte aber zunächst als vertraglich gesicherte Leihgabe hängen bleiben, bevor es zurückgekauft werden konnte. Über den Betrag wurde – anders als in Darmstadt, wo Ludwig von Hoffmanns Frühlingssturm nach der Rückgabe an die Mosse-Erben für 375.000 Euro erworben wurde – Stillschweigen vereinbart. Damit hätte man die Akte schließen können. Wäre da nicht die ganze Zeit über Unruhe spürbar gewesen.

Denn die Bildrückgabe hatte ein ambitioniertes Vorhaben angestoßen, das die Protagonisten in Karlsruhe und Kalifornien gleichermaßen beschäftigte: das Forschungsprojekt zur Rekonstruktion der Sammlung Mosse.

impuls »Wir waren die treibende Kraft«, behauptet Rosebrock. Schließlich hätten ihre Recherchen dazu geführt, dass die Karlsruher Kunsthalle »als erstes Museum einen vollständigen Forschungsbericht zur Verfügung gestellt hat«. Die Provenienzforscherin ließ gezielt andere deutsche Museen mit Mosse-Werken Einblick nehmen.

Auch das dürfte in Amerika gut angekommen sein. Zwar hatten die dort ansässigen Erben – die Mosse Foundation, die Universität von Wisconsin und die bald 90-jährige Joy Mosse – selbst Suchvorgänge eingeleitet. Offenbar waren die Ergebnisse aber teils unbefriedigend, da sie nicht exklusiv mit ausgewiesenen Herkunftsforschern zusammengearbeitet hatten.

»Wir haben dann den Impuls für die Erforschung der gesamten Sammlung Mosse gegeben«, bestätigt die Direktorin der Karlsruher Kunsthalle, Pia Müller-Tamm. Ohne Blechen und die in Karlsruhe anlässlich einer Ausstellung verfasste Broschüre, die zur Freude der Erben Rudolf Mosse und sein tragisches Schicksal vorstellt und ehrt, wäre MARI wohl kaum entstanden. »Es war ein langer, vertrauensbildender Prozess«, sagt Müller-Tamm, »nun bahnt sich auch Versöhnung an.«

»Wir stehen dem Vorhaben positiv gegenüber«, wie Konrad Matschke von der Claims Conference auf Nachfrage wissen lässt. Den Wert der Sammlung zu beziffern, sei indes schwierig. Unterdessen steht das Thema Wiedergutmachung für Müller-Tamm nicht erst jetzt »ganz oben auf der Agenda«. Es habe lange genug gedauert, bis deutsche Museen sich mit Raubkunst auseinandersetzten, ärgert sie sich.

Roger Strauch ist »glücklich über die konstruktiven Beziehungen zu deutschen Provenienzforschern«. Er sei dankbar für ihren Einsatz und die Anstrengungen, die Interessen der von ihnen vertretenen Einrichtungen mit den legitimen Forderungen der Erben nach Rückgabe von Raubkunst auszubalancieren. »Mich persönlich beeindruckt ihr umsichtiges Vorgehen unglaublich«, sagt Strauch. »Jedes unserer spezifischen Anliegen findet Gehör, obwohl die Lage zum Teil sehr schwierig ist.«

gemälde Bei der Rekonstruktion der Sammlung Mosse ist das Kunsthistorische Institut der FU federführend. Neben dem MARP beteiligen sich die Kulturstiftung der Länder, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) sowie das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste. »Das Projekt denkbar breit aufzustellen, ist aufs Schönste gelungen«, sagt Müller-Tamm. Eine »konzertierte Aktion« sei »dringend geboten« gewesen, um »Forschungsprojekte nicht dem Zufall zu überlassen«.

Meike Hoffmann von der FU-Forschungsstelle »Entartete Kunst« durchsucht mit einem vierköpfigen Team das Material. Angesetzt sind zwei Jahre. 24 Monate, um Tausende Gemälde, Skulpturen, Möbelstücke und andere Kunstgegenstände zu identifizieren? Das dürfte kaum zu schaffen sein. Muss es auch nicht, kann Jan Hegemann von Raue LLP beruhigen. Die Zweijahresfrist sei eine Formalie. 2019 könne erneut eine Förderung beantragt werden, die Recherche in die Verlängerung gehen. Dabei würden MARP und MARI unabhängig arbeiten, jedoch kooperieren, sagt Bartko. MARI werde vornehmlich vom Zentrum Kulturgutverluste unterstützt, jedoch auch von der Mosse Foundation. Die Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, Isabel Pfeiffer-Poensgen, hat Bartko derweil in San Francisco empfangen, als sie anlässlich einer Dienstreise von Kulturministerin Monika Grütters vor Ort war.

Im Sommer 2014 hatten die Erben von Felicia Lachmann-Mosse bei Lost Art 440 Kunstobjekte eingestellt. »Man darf jedoch«, gibt Jöbstl zu bedenken, »nicht nur unter Mosse suchen.« 2015 hatte die SPK ihre Mosse-Objekte zurückgegeben. Damals hatten zwei ostasiatische Windhundstatuen ohne Inventarnummern die Provenienzdetektive auf die richtige Fährte gebracht.

Die rekonstruierte Sammlung Mosse wird zunächst eine virtuelle sein. Vorhersehbar aber ist, dass Museen in Sonderschauen Mosses Besitz und seine Ankaufstrategien betrachten werden. MARI bietet nicht zuletzt die Möglichkeit, der DNA dieser im 19. Jahrhundert begonnenen Sammlung nahezukommen sowie offenzulegen, wie Trends und Moden den Kunsterwerb mitbestimmten und inwieweit der Zeitungszar, der als die fortschrittlich-liberale Stimme im deutschen Kaiserreich galt, beim Kunstkauf avantgardistisch orientiert war oder nicht.

Ziel von MARI ist es auch, Rudolf Mosse als Patron der bildenden Künste zu würdigen. »Ich möchte gerne neues Interesse an der Persönlichkeit von Rudolf Mosse als visionärem Geschäftsmann und Philanthropen wecken und zur Würdigung seiner Leistungen für sein Land beitragen«, sagt Roger Strauch. Nach 1933 habe niemand mehr die Sammlung gesehen. Das Mosse-Palais wurde 1945 zerstört. 1998 baute der US-Architekt Hans Strauch, der in die Mosse-Familie eingeheiratet hatte und heute bei Boston lebt, das neue Mosse-Palais. Das ursprüngliche Gebäude war als »Mosseum« bezeichnet worden. Assoziativ schwingt der Begriff Kolosseum mit – Großartiges andeutend.

Auch der Name MARI ist bewusst gewählt. Jan Hegemann habe ihn vorgeschlagen, erinnert sich Projektkoordinator Bartko, der sich »Director of Investigations« nennt und nicht nur die Vermittlungsarbeit von Müller-Tamm und Rosebrock für MARI preist: »Aus meiner Sicht ist die eigentliche Story die Zusammenarbeit verschiedener deutscher Institutionen mit dem MARP zum Zweck der Provenienzklärung.«

vermächtnis Hat er Deutschen so viel Kooperationsbereitschaft etwa nicht zugetraut? »Die Erforschung wird in alle Museen hineinreichen«, bekräftigt Müller-Tamm. Die Museumschefin selbst kann es kaum erwarten: »Wir stehen an einem tollen Anfang«, sagt sie. Und Bartko ist sicher, dass dank MARI viele Werke der ehemaligen Sammlung ans Licht kommen werden.

Erbe und Stiftungstreuhänder Strauch hofft, dass »wir eines Tages eine große Anzahl von Werken der Sammlung Mosse wiedervereinen können«. Darüber hinaus hofft er, dass die Bemühungen, das Interesse an der Mosse-Familie, ihrer Geschichte und ihrem Vermächtnis wiederzuerwecken, »letztlich die deutsche Kultur bereichern und geistige Freiheit auf breiter Ebene fördern werden«. Dafür setzt er auf MARI.

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