Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat am Montag zwei seit langem umstrittene Fälle zum Umgang mit NS-Raubkunst und anderem Eigentum verhandelt, das Juden während des Dritten Reichs von den Nationalsozialisten gestohlen wurde.
Im Mittelpunkt steht die Frage, ob amerikanische Gerichte überhaupt zuständig sind, solche Fragen zu entscheiden. Nun hielten die neun Richter am Supreme Court eine mündliche Verhandlung per Internetschalte ab. Dabei wurden zwei ähnlich gelagerte Fälle gleichzeitig verhandelt.
ENTSCHÄDIGUNG Einer betrifft eine Gruppe von 14 Holocaust-Überlebenden aus Ungarn, von denen einige jetzt US-Bürger sind. Die Kläger fordern von der staatlichen ungarischen Eisenbahngesellschaft eine Entschädigung für Eigentum, das ihnen und ihren Familien bei der Deportation in die NS-Todeslager abgenommen wurde.
Der andere Fall ist der des Welfenschatzes, aktuell im Besitz der öffentlichen Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Etwa die Hälfte der auf rund 200 Millionen Euro geschätzten Sammlung von mittelalterlichen Kruzifixen und Altären wurde 1935 vom Staat Preußen zu einem relativ geringen Kaufpreis erworben.
Die Erben der jüdischen Kunsthändler verlangen nun vor dem Bundesgericht in Washington DC die Anerkennung, dass der Verkauf ihren Vorfahren im Rahmen der Judenverfolgung aufgezwungen wurde und der Welfenschatz deshalb als Raubkunst zu gelten habe. Deutschland bestreitet das und argumentiert, dass der niedrigere Verkaufspreis der Kunstwerke eine Folge der durch die Weltwirtschaftskrise ausgelösten Deflation war.
GESETZ In beiden Fällen werden die Grenzen der Zuständigkeit von US-Gerichten bei der Behandlung von Klagen getestet, die sich gegen ausländische Regierungen richten. Im Allgemeinen gilt bei Staaten eine Immunität gegen Klagen, doch seit 1976 gilt in den USA der Foreign Sovereign Immunities Act (FISA), nachdem die Immunität nicht gilt, wenn Eigentum »unter Verletzung des Völkerrechts« entwendet wurde.
Das höchste US-Gericht will bis Mitte 2021 ein Urteil fällen.
In mündlichen Anhörungen, die wegen der Pandemie am Telefon stattfanden, argumentierten die Vertreter der deutschen und ungarischen Regierungen, dass die Zuständigkeit der US-Gerichte negiert werden müsse, weil in den vorliegenden Fällen der Schutz durch den FISA nicht gegeben sei. Sie warnten auch davor, dass der Oberste Gerichtshof die Beziehungen der USA zu den Verbündeten aufs Spiel setzen und mögliche Vergeltungsmaßnahmen provozieren könnte.
AUSNAHME Auch die Trump-Regierung machte sich in ihrem Plädoyer diese Position zu eigen. Generalstaatsanwalt Jeffrey Wall argumentierte vor dem Gericht, dass der Diebstahl von jüdischem Eigentum durch die Nazis »inländische Einkünfte« einer Regierung aus dem Eigentum ihrer eigenen Bürger betreffe und daher nicht unter die völkerrechtliche Ausnahme falle, die sich auf ausländische Staatsangehörige beziehe.
Der Rechtsvertreter der Kläger im Welfenschatz-Verfahren, Nicholas O’Donnell, argumentierte dagegen, dass der US-Kongress ausdrücklich den Kunstraub der Nationalsozialisten als Teil des Völkermords an den Juden bezeichnet habe. Deswegen betreffe die Klage eindeutig das »Recht auf Eigentum«, wie es im FISA definiert sei.
In der Anhörung ließen mehrere Richter durchblicken, dass sie sich nicht wohl dabei fühlen könnten, die Zuständigkeit von US-Gerichten in den beiden vorliegenden Fällen zu verneinen. Das höchste US-Gericht will bis Mitte 2021 ein Urteil fällen. mth