Also gut, ich gebe es zu. Ich habe mich auch vom Strickfieber anstecken lassen. Die ganze Welt strickt ja mittlerweile. Wo man hinsieht, werden Wollknäuel und Nadeln ausgepackt. Ob in der U-Bahn oder im Café, man und frau ist damit beschäftigt, Socken, Pulli und Schal selbst anzufertigen.
Wer »knitting« auf YouTube oder Instagram eingibt, findet innerhalb von Sekunden Videos mit dem angeblich einfachsten Strickmuster, egal ob mit linken oder rechten Maschen, angeleitet von urbanen jungen Menschen, die versuchen, die Welt im Do-it-yourself-Rausch zu erobern. Was früher als bieder und rückständig galt, ist heute Trend.
Mit dem Zeitgeist des Slow Living, des Selbstmachens, des neuen Handwerks, der Abkehr vom Massenprodukt und dem Ruf nach Individualität hat sich die Wertschätzung gegenüber dem Stricken deutlich gebessert. Das passt ins postpandemische Zeitalter, nachdem Brote zu Hause gebacken wurden. Mit selbst gezüchteter Hefe natürlich.
Auch das Stricken reiht sich in diesen Reigen des gelobten Selbstmachens, und der Selbstversuch bestätigt: Masche für Masche arbeite ich mich durch, und ja, es hat etwas Obsessives. Noch eine Reihe und dann noch eine. Nach zehn dann die Enttäuschung, nicht schneller vorwärts gekommen zu sein, wo man doch das Gefühl hat, mittlerweile richtig fix die Nadeln zu schwingen.
Zu oft plagt mich noch der Gedanke, ich könnte in dieser Zeit auch ein Buch lesen oder einer »sinnvolleren« Tätigkeit nachgehen.
Aber Stricken soll ja bekanntlich glücklich machen. Ob ich es tatsächlich damit werde, weiß ich nicht. Zu oft plagt mich noch der Gedanke, ich könnte in dieser Zeit auch ein Buch lesen oder einer »sinnvolleren« Tätigkeit nachgehen. Aber Stricken ist sinnvoll! Es aktiviert nachweislich Neurotransmitter für Serotonin, die Glücksgefühle auslösen, und es fördert die Konzentration, heißt es.
Außerdem bringt es das Vorstellungsvermögen auf Hochtouren. Denn Stricken bedeutet Nachdenken, wie die Wolle in ein dreidimensionales Gebilde zu formen ist. Es sind kreative wie strategische Entscheidungen gefragt, die beide Gehirnhälften beanspruchen. Und außerdem bedeutet Stricken Regelmäßigkeit und damit auch Sicherheit.
Jahrzehntelang war Sicherheit ein kaum beachteter Zustand, weil im Überfluss vorhanden. Was als selbstverständlich gilt, verschwindet rasch aus dem kollektiven Bewusstsein. Doch die Sorge über die innere und die äußere Sicherheit kommt mit Wucht zurück. Wie wir mittlerweile wissen, ist der Krieg kein Auslaufmodell mehr.
Was hat das, bitte schön, mit dem Stricken zu tun? Regelmäßig ineinander gehende Maschen als Sinnbild für eine nicht aus den Fugen geratene Welt? Vielleicht. Einige Politikerinnen und Politiker im In- und Ausland täten gut daran, der Magie der Masche zu verfallen. Vielleicht entdecken sie dabei ja nachhaltigere Strategien für ihre Staatsführung. Es würde die Welt entschleunigen und kreativer werden lassen. Und vielleicht auch ein wenig glücklicher?