Gratulation

Streitbar, rastlos, eloquent

Rüstiger Ruheständler: Wolfgang Benz in seinem Berliner Büro Foto: Marco Limberg

Wenn Wolfgang Benz, der ehrwürdige Historiker von Weltrang, an diesem Donnerstag seinen 70. feiert, kann man zwar schwerlich von einem Geburtstagskind sprechen, aber von einem Ruheständler ebenso wenig.

Als hätte es nach seiner Emeritierung nicht zwei große Abschiedsfeiern und einen geordneten Rückzug aus dem Büro im Hochhaus der Technischen Universität Berlin am Ernst-Reuter-Platz Ende März dieses Jahres gegeben: Wolfgang Benz schreibt, streitet, spricht – und wird zitiert. Dass eine unbequeme, aber standhaft vertretene These zu bösartigen Attacken führen kann, hat er zuletzt bei der hitzigen Debatte um seinen Vergleich der Judenfeindschaft mit dem heutigen Antiislamismus erlebt.

Lebensaufgabe Geboren zwei Wochen vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941, hätte – so scheint es im Rückblick – ja gar nichts anderes aus ihm werden können als einer, der sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts zur Lebensaufgabe macht. Wenngleich er sich auch mit den deutschen Nachkriegsstaaten beschäftigt hat, lag und liegt der Schwerpunkt seines Wirkens auf der Zeit des Nationalsozialismus und dessen europaweiten Verbrechen.

Nach dem Studium wurde Benz 1968 an der Universität München promoviert, war anschließend bis 1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München und dann Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung in Berlin – mehr als 20 Jahre lang.

Sein Œuvre – 1992 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis und den Preis »Das politische Buch« der Friedrich-Ebert-Stiftung – als Autor und Herausgeber ist derart umfangreich, dass es schwerfällt, sich zu beschränken: Da gibt es die Dimension des Völkermordes, ein Standardwerk zur Zahl der ermordeten Juden Europas, und den Ort des Terrors, eine neunbändige Übersicht zur Geschichte der NS-Lager, die er zusammen mit seinen Co-Autorinnen Barbara Distel und Angelika Königseder erstellt hat.

Dieses Mammutwerk zu beginnen, war eine Reaktion auf den Bau des Holocaustmahnmals in Berlin – der Befürchtung geschuldet, dass wegen dieses Gedenkzeichens im Zentrum der Hauptstadt Deutsch- lands in der Nähe von Brandenburger Tor und Reichstag die Orte der Verbrechen aus dem Blick geraten könnten. Auch deshalb war Benz von Anbeginn der Sprecher des Beirats der Bundesstiftung, die das Denkmal betreut, und maßgeblich an der inhaltlichen Konzeption der Dauerausstellung im »Ort der Information« unter dem Stelenfeld des Holocaust-Mahnmals beteiligt.

Diese Funktion übt er weiterhin aus. Es bleibt, ihm eine geruhsame und ausnahmsweise geschichtsfreie Feier im Kreise seiner Familie zu wünschen, denn vieles steht noch an: Vom Handbuch des Antisemitismus sind erst zwei der geplanten neun Bände erschienen.

Der Autor ist Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025