Bären, sagt Claude Lanzmann, habe er schon viele in seinem Leben gesehen. Aber diesen knapp 25 Zentimeter großen goldenen Bären in seinen Händen zu halten, mache ihn stolz und emotional zugleich. Fast zärtlich küsst er die Auszeichnung, die ihm am späten Donnerstagabend im Berlinale-Palast auf dem Filmfestival für sein Lebenswerk verliehen worden ist.
Wendepunkt Schon bei der Laudatio von Ulrich Gregor, dem Filmhistoriker und ehemaligen Berlinale-Chef, hatte der Regisseur Tränen in den Augen. Gregor beschrieb, wie er Lanzmanns epochales Werk Shoah zum ersten Mal sah: »Die Erfahrung war einzigartig und unvergleichbar.« Auch an das erste Screening 1986 bei der Berlinale, vor dem auch Gregor großen Respekt hatte, erinnert er sich. Die Zuschauer seien damals genauso bewegt und ergriffen gewesen, wie er selbst, sagte Gregor. Er bezeichnete den Film als ein Wendepunkt im Wesen des Kinos: »Es gibt eine Zeit vor Shoah und eine Zeit danach«. Kein Film habe so tief in die Abgründe menschlicher Seele, menschlichen Verhaltens geblickt. Shoah war für die Generation Gregors wie eine Antwort auf die Fragen, »die uns ewig jagen werden«.
Eine Szene ist Ulrich Gregor besonders im Gedächtnis geblieben: Simon Srebnik, einer der wenigen Überlebenden des Vernichtungslagers Chelmno, beschreibt inmitten einer idyllisch wirkenden Landschaft, an welcher Stelle die Menschen verbrannt wurden. Lanzmann, der für Shoah kein historisches Material verwendete und einfach die Betroffenen hat sprechen lassen, habe damit einen »Meilenstein in der Geschichte des Kinos« geschaffen.
Dokumentarfilme Dafür und für die vielen anderen Dokumentarfilme wie Warum Israel oder Sobibor, 14. Oktober, 1943, 16 Uhr, der im Anschluss an die Preisverleihung gezeigt wurde, nahm Lanzmann den Goldenen Ehrenbären fast schüchtern entgegen. »Ich bin stolz und glücklich, dass ich geehrt werde«, sagte der 87-Jährige, der 1925 als Sohn jüdischer Eltern in Paris geboren wurde.
Er studierte in Frankreich und Deutschland Philosophie und war Dozent an der noch jungen Freien Universität Berlin. Eine enge Freundschaft verband ihn mit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre, dessen Zeitschrift »Les Temps Modernes« Lanzmann noch heute herausgibt.
Berlin An seine Zeit in Berlin – 1948/49 – erinnert sich der Regisseur gern. »Ich könnte stundenlang darüber sprechen. Ich habe meine Steuern bezahlt, sogar die Kirchensteuer.« Das sei für ihn ein Zeichen der Integration gewesen, betont er mit strengem französischen Akzent und rauchiger Stimme, die die ganze Rede hindurch kraftvoll bleibt. Einige Worte sagt er weder auf Französisch noch auf Englisch, sondern auf Deutsch – wie eben »Kirchensteuer« oder »Mauer«.
In der Stadt zu sein, die gerade eine fundamentale Veränderung durchmachte, sei für ihn ein besonderes Erlebnis gewesen, sagte Lanzmann. Nicht nur bei der Verleihung, sondern auch schon beim Hineingehen in den Saal, wurde er mit minutenlangem Applaus und stehenden Ovationen gefeiert. Und trotzdem er, wie er in einer Pressekonferenz zuvor sagte, heute ein Star sei, wirkte er mit dem Ehrenbären ganz bescheiden.
Die Berlinale hat Claude Lanzmann eine Hommage gewidmet. Mehr Informationen dazu unter www.berlinale.de
Lesen Sie unser Gespräch mit dem Regisseur
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