Sprachgeschichte(n)

Stieke und hintenrum

Stieke! Sag‘ nichts! Foto: Thinkstock

Zuweilen gibt es in der Düsseldorfer Brauerei »Zum Uerige«, aber auch in der Wiener »1516 Brewing Company« zum Preis des normalen Alt ein kräftigeres Bier, das bei den Rheinländern »Sticke« und bei den Österreichern wegen der extremen Hopfung »Yankee-Sticke« heißt. Warum man den Namen gewählt hat? Weil der Gast den Ausschanktermin, der nicht an die große Glocke gehängt wird, nur »stickum«, also heimlich, hinter vorgehaltener Hand, erfährt.

talmud »Stiekum/stickum« entstammt dem Rotwelschen, wo es für »ruhig, leise« stand. Es leitet sich vom westjiddischen »schtieke« (ruhig) her, das seinerseits auf das hebräische »schetikah« (Schweigen) zurückgeht.

Ingeborg-Liane Schack deutet in Der Mensch tracht un Got lacht (1977) auf die hebräisch gefasste talmudische Sentenz aus den Sprüchen der Väter 3,17 »ssejág lechóchma schetika« (»Der Zaun der Weisheit ist Schweigen«), die sich im jiddischen Sprichwort wiederfindet: »Ssejóg lachóchme schtíke – ober schtíke alejn is kejn chóchme nit« (»Der Zaun der Weisheit ist das Schweigen – aber Schweigen allein ist keine Weisheit«). Werner Weinberg zitiert im Lexikon zum religiösen Wortschatz und Brauchtum der deutschen Juden (1994) den Ausruf »Schtike beschass hatfillo/-fille!«, der vom Vorbeterpult oder aus der Gemeinde ertönte, wenn während des Hauptgebets geredet wurde.

Im Jüdischdeutschen begegnet uns »stieke« in mehreren Wortarten: als Substantiv für »Ruhe«; als Interjektion für »still!«, etwa in »Stieke chochme!« (»Sei vernünftig, rede nicht!«); als Adjektiv im Sinne von »ruhig, schweigsam«: »ein stiekener Mensch«; als Adverb für »insgeheim« (»Er hat’s in der stieke getan«). Weinberg nennt in Die Reste des Jüdischdeutschen (1973) zudem das intransitive Verb »stiekenen/stiekemen« (»schweigen«) in »Er stiekent wie’n Bettpischer« (wie ein Bettnässer).

regional »Stiekum/stickum« kann nach S. Elspaß und R. Möller im Atlas zur deutschen Alltagssprache (2003) »wie das standardniederländische stiekem auch eine negative Konnotation haben und dann ›so hintenrum‹ meinen (so eine der im Rheinischen Wörterbuch angegebenen Bedeutungen)«. Nach dem Atlas »wird das Wort alltagssprachlich in Teilen Nordwestdeutschlands ab und zu verwendet, üblich ist es insbesondere in Gebieten, die an die Niederlande angrenzen (Niederrhein, Grafschaft Bentheim, Ostfriesland).«

Gertrud Reershemius’ Studie Die Sprache der Auricher Juden (2007) bestätigt: »Das Wort ist als schtiekum auch im ostfriesischen Niederdeutsch in der Bedeutung ›heimlich, hinterrücks‹ verbreitet.« Auch das Pfälzische und das Elsässische Wörterbuch kennen das Lexem im Sonderwortschatz von Viehhändlern und Metzgern sowie als »Interjektion des Schweigens«. Gunther Schunks Wörterbuch von Mittelfranken (2000) verzeichnet sogar das Verb »stigsen« für »etwas heimlich entwenden«.

Im ruhrdeutschen Regiolekt ist das Wort als »stickum« verbreitet. In Jott Wolfs Der revierdeutsche Struwwelpeter (2013) zum Beispiel heißt es: »Wenn es schüttet volle Kanne/Wenn en Sturm macht platt ne Tanne,/Bleiben Blagen, so ganz lütte,/Besser stickum inne Hütte.«

Peter Honnen gibt in seinem Regionalwörterbuch des Rheinlands Kappes, Knies und Klüngel (2012) lebensechte Beispiele: »Dat hat der sich ganz stickum inne Tasche gesteckt. – Wat bisse so stickum gehdet dir nich gut?« Er erwähnt, das Wort sei auch als Substantiv »Stickumme/r« für »Leisetreter/Heimlichtuer« gebräuchlich, »wobei hier der negative Bedeutungsanteil überwiegt: Dat is sonn ganz Stickummen, bei dem musse dich in acht nehmen.«

TV-Kritik

Politisierende Ermittlungen

In »Schattenmord: Unter Feinden« muss eine arabisch-stämmige Polizistin den Mord an einem jüdischen Juristen aufklären

von Marco Krefting  02.12.2025

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  01.12.2025 Aktualisiert

Kommentar

Schiedsgerichte sind nur ein erster Schritt

Am 1. Dezember startet die Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubkunst. Doch es braucht eine gesetzliche Regelung auch für Werke in Privatbesitz, meint unser Gastautor

von Rüdiger Mahlo  01.12.2025

Rache

»Trigger-Thema« für Juden

Ein Filmseminar der Jüdischen Akademie untersuchte das Thema Vergeltung als kulturelle Inszenierung

von Raquel Erdtmann  01.12.2025

Wuppertal

Schmidt-Rottluff-Gemälde bleibt in Von der Heydt-Museum

»Zwei Frauen (Frauen im Grünen)« von Karl Schmidt-Rottluff kann im Von der Heydt Museum in Wuppertal bleiben. Nach Rückgabe an die Erbin erwarb die Stadt das Bild von ihr. Vorausgegangen waren intensive Recherchen zur Herkunft

 01.12.2025

Dorset

»Shakespeare In Love« - Dramatiker Tom Stoppard gestorben

Der jüdische Oscar-Preisträger war ein Meister der intellektuellen Komödie. Er wurde 88 Jahre alt

von Patricia Bartos  01.12.2025

Fernsehen

Abschied von »Alfons«

Orange Trainingsjacke, Püschelmikro und Deutsch mit französischem Akzent: Der Kabarettist Alfons hat am 16. Dezember seine letzte Sendung beim Saarländischen Rundfunk

 30.11.2025 Aktualisiert

Gerechtigkeit

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz 

Jüdische Verbände dringen auf Rückgabegesetz Jahrzehnte nach Ende des NS-Regimes hoffen Erben der Opfer immer noch auf Rückgabe von damals geraubten Kunstwerken. Zum 1. Dezember starten Schiedsgerichte. Aber ein angekündigter Schritt fehlt noch

von Verena Schmitt-Roschmann  30.11.2025

Berlin

Späte Gerechtigkeit? Neue Schiedsgerichte zur NS-Raubkunst

Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit kämpfen Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab dem 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?

von Cordula Dieckmann, Dorothea Hülsmeier, Verena Schmitt-Roschmann  29.11.2025