Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2014 rückt die Voraussetzungen für die Kirchensteuerpflicht wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Polemische Aussagen, wie etwa die, dass »der Staat bestimmt, wer Jude ist«, oder Klagen über eine »automatische Mitgliedschaft« in einer jüdischen Religionsgemeinschaft kennzeichnen eine primär emotional geführte Diskussion.
Dass es in der Bundesrepublik Deutschland gar keine Synagogensteuer gibt, die als Abgabe von Angehörigen der jüdischen Religion an ihre Gemeinden oder Synagogen zu bezahlen ist, scheint jenseits dieser Kritik zu liegen.
Es gibt in der Tat nur eine Kirchensteuer, die in den einzelnen Bundesländern auf der Grundlage von Landeskirchensteuergesetzen zugunsten der großen Kirchen und auch zugunsten der jüdischen Religionsgemeinschaften erhoben wird. Kirchensteuerpflichtig sind Angehörige der jeweiligen Religionsgemeinschaft, die ihren Wohnsitz in dem jeweiligen Bundesland haben. Die Kirchensteuer beträgt je nach Bundesland zwischen acht und neun Prozent der festgesetzten Einkommensteuer mit Sondervorschriften für glaubensverschiedene Ehegatten.
Verfassung Das Steuererhebungsrecht der Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, ist verfassungsrechtlich garantiert. Verfassungsrechtlich garantiert ist auch das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbstständig zu ordnen und zu verwalten. Zu diesen eigenen Angelegenheiten gehört auch das Recht der Religionsgemeinschaften, die Mitgliedschaft ihrer Angehörigen zu regeln.
Verfassungsrechtliche Grundlage für die Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften im Staat sind die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung, die unverändert in das Grundgesetz übernommen wurden. In der Aufnahme von kirchenrechtlichen Artikeln der Weimarer Reichsverfassung in das Grundgesetz spiegelt sich der Konflikt der Verfassungsväter zwischen dem Streben nach weltanschaulicher Neutralität des Staates und dem Wunsch, die historisch überkommene Rechtsstellung der Religionsgemeinschaften zu wahren. Die Weimarer Kirchenartikel sind aber keine Kompromiss-Artikel. Sie sind vollgültiges Verfassungsrecht.
religionsfreiheit Vollgültiges Verfassungsrecht ist aber nicht nur das Steuererhebungsrecht der Religionsgemeinschaften und ihr Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbstständig zu verwalten. Vollgültiges Verfassungsrecht sind, allen anderen Verfassungsbestimmungen voran, auch die Grundrechte der Bürger. Dazu gehört die in Art. 4 des Grundgesetzes garantierte Religionsfreiheit. Dieses Grundrecht umfasst nicht nur die Freiheit, eine Religion auszuüben. Art. 4 GG schützt darüber hinaus als negative Religionsfreiheit auch das Recht, keiner Religionsgemeinschaft anzugehören.
Die Verfassung selbst schafft somit ein Spannungsverhältnis zwischen dem Recht der Religionsgemeinschaften, Steuern zu erheben, und dem Grundrecht des einzelnen Bürgers, einer Religionsgemeinschaft fernzubleiben, ihr also nicht anzugehören und keine Kirchensteuer zu zahlen. Aufgabe des Staates, seiner Behörden und Gerichte ist es, sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften als auch das Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Bürgers zu schützen und zu begrenzen.
Die für diesen Ausgleich vom Bundesverfassungsgericht und von den Instanzgerichten herausgearbeitete Handlungsanweisung lässt sich auf eine kurze Formel bringen: Niemand darf von einer Religionsgemeinschaft gegen seinen Willen als ihr Mitglied behandelt werden.
Einfach ist es, eine bereits bestehende Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft zu beenden. Hierfür muss vor der zuständigen Behörde die Erklärung abgegeben werden, dass man aus dem Bekenntnis oder aus der Kirche austritt. Damit verbunden ist das Erlöschen der Kirchensteuerpflicht, keinesfalls aber die allein nach dem Glaubensrecht der Religionsgemeinschaft zu beantwortende Frage, ob man der Glaubensgemeinschaft in rein religiöser Hinsicht noch angehört oder nicht.
willensbekundung Schwierig kann aber die Frage sein, welche Anforderungen an eine Willensbekundung zu stellen sind, die zu einer Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft führt. Die Kirchensteuergesetze der Länder bestimmen zwar in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben, dass sich die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft nach dem Recht der Glaubensgemeinschaft richtet.
Bei der Bestimmung dieser Voraussetzungen dürfen die Religionsgemeinschaften aber nicht gegen die verfassungsrechtlich geschützte Entscheidungsfreiheit eines Glaubensangehörigen über seine Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft verstoßen. Einfach ist die Entscheidung, wenn die Statuten einer Gemeinde vorsehen, dass nur derjenige Mitglied werden kann, der sich bei der Gemeinde als Mitglied registriert hat.
Streitfall Viele jüdische Gemeinden haben jedoch unklare Mitgliedschaftsbestimmungen, die teilweise historisch überkommen sind. In diesen Fällen, die häufig streitig werden, müssen die im Streitfall zur Entscheidung aufgerufenen staatlichen Gerichte die Frage einer freiwilligen Mitgliedschaftsbekundung häufig anhand einer Bewertung mehrerer Merkmale beurteilen.
So auch in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall: Ein aus dem Ausland nach Frankfurt am Main zugezogenes Ehepaar hatte sich im Einwohnermeldeamt unter der Rubrik »Religion« für jeden Ehegatten gesondert als »mosaisch« eingetragen. Dies war für die dortige Jüdische Gemeinde nach der gesetzlich vorgesehenen Mitteilung des Einwohnermeldeamts an die Gemeinde Grund, die Ehegatten als Mitglieder zu betrachten.
Die Ehefrau, die bereits früher Mitglied der Frankfurter Gemeinde war, und ihr Ehemann wehrten sich gegen die Mitgliedschaft und die daran anknüpfende Steuerpflicht, weil »mosaisch« ihrer Meinung nach für eine Zugehörigkeit zum liberalen Judentum stehe, nicht aber für eine Zugehörigkeit zu der orthodox geprägten Frankfurter Gemeinde.
Einheitsgemeinde Dies steht zunächst im Widerspruch zu der Tatsache, dass die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main als Einheitsgemeinde beide Strömungen des Judentums unter ihrem Dach vereint. Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff »mosaisch« auf der Grundlage eines Rechtsgutachtens, das der Verfasser dieses Artikels erstellt hat, als Synonym für die jüdische Religionszugehörigkeit interpretiert, aber nicht als Wille, ausschließlich einer bestimmten liberalen Richtung des Judentums anzugehören.
Unabhängig davon verstehen sich auch die Anhänger des liberalen oder progressiven Judentums als dem jüdischen Glauben zugehörig. Und auch die Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main versteht sich in Paragraf 1 ihrer Satzung, die den Klägern nach deren Zuzug zugeschickt wurde, ausdrücklich als »Vereinigung von Personen jüdischen Glaubens«.
Keinesfalls also liegt der Gesamtwertung dieser Umstände durch das BVerfG ein »Automatismus« zugrunde, der zur »Zwangsmitgliedschaft« in einer Religionsgemeinschaft führt. Und keinesfalls bestimmt der Staat, wer Jude ist. So sagt es ganz ausdrücklich auch das BVerfG in der Begründung seiner Entscheidung. Aufgabe des Staates und seiner Gerichte ist es aber, im Konfliktfall zwischen dem verfassungsrechtlich verbürgten Recht der Religionsgemeinschaften, den Kreis ihrer Mitglieder selbst zu bestimmen, und der ebenfalls verfassungsrechtlich verbürgten Religionsfreiheit des Einzelnen, zu einer vertretbaren Lösung zu kommen.
Dem kann sich der Einzelne, wie im Frankfurter Fall auch geschehen, in Wahrnehmung seiner negativen Glaubensfreiheit durch einen Austritt aus dem Bekenntnis widersetzen. Ein Akt der Solidarität gegenüber der Gemeinde, der man dann nur noch »faktisch« angehört, ist dies zwar nicht, wohl aber ein weit verbreitetes Verhalten, unter dem alle jüdischen Gemeinden in Deutschland leiden.
Der Fall
Im September hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein jüdisches Ehepaar aus Frankfurt am Main zu einer nachträglichen Zahlung von Steuern an die Jüdische Gemeinde Frankfurt verpflichtet, obwohl die beiden schon 2003 aus der Gemeinde ausgetreten sind. Die Eheleute waren 2002 aus Frankreich nach Frankfurt gezogen und hatten bei der Meldebehörde »mosaisch« als Religionszugehörigkeit angegeben. Damit wurden sie automatisch als Mitglieder der Jüdischen Gemeinde geführt. Erst ein Jahr nach seinem Wohnortwechsel widersprach das Paar formal seiner Mitgliedschaft. Laut Gemeindesatzung war dies jedoch zu spät. Die Leipziger Richter beriefen sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2014, laut dem die Angabe der Religionszugehörigkeit beim Einwohnermelde- amt als Grundlage für eine Gemeindemitgliedschaft heranzuziehen sei. Diese Regelung sei, wie das BVerfG bereits urteilte, nicht als vom Grundgesetz verbotene »Zwangsmitgliedschaft« zu bewerten.
Der Autor war von 1998 bis 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Wirtschafts- und Steuerrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München und ist Mitglied des Vorstands der IKG München und Oberbayern.