Archäologie

Steinerne Spur des Exodus

Gefangenschaft in Ägypten, Auszug, 40 Jahre Wanderschaft – und schließlich, auf göttliche Intervention hin, fallen die Mauern Jerichos in sich zusammen und eröffnen den Israeliten ein Einfallstor in das Gelobte Land. So schildert die Heilige Schrift den Exodus. Das Problem: Zur fraglichen Zeit – um 1200 v. d. Z. – findet sich weder im heutigen Israel noch in Ägypten eine Spur dieser Ereignisse. Nicht einmal Mauern hat es damals um die alte Stadt Jericho gegeben.

An einem wahren Kern der Berichte zweifeln daher heutzutage die allermeisten Forscher. Allen voran der israelische Archäologe Israel Finkelstein, der die Diskrepanz zwischen Überlieferung und Wissenschaft in seinem 2001 erschienenen Buch Keine Posaunen vor Jericho überzeugend darlegte. Dass er und seine Kollegen ausgerechnet in den Jahrzehnten um 1200 v. d. Z. nach Zeugen des Exodus suchten, liegt vor allen Dingen an der bis vor Kurzem einzigen bekannten Erwähnung Israels aus altägyptischer Zeit. Auf einer 1896 wiederaufgefundenen Stele notierte Pharao Merenptah großspurig: »Israel ist verwüstet, seine Saat ist nicht mehr.« Ein Volk namens »Israel« muss demnach spätestens vor Merenptahs Regierungszeit um das Jahr 1200 v. d. Z. die Bühne betreten haben – vermutlich während der Regierung seines Vaters Ramses II.

i-schra-il Eine verwitterte, unscheinbare Steinplatte, die seit 1913 im Berliner Ägyptischen Museum lagert, könnte dieses Bild nun ins Wanken bringen. Denn auch auf diesem Granitblock haben sich in Hieroglyphenschrift drei Namen erhalten – die ersten beiden sind gut lesbar, der letzte an den entscheidenden Stellen verwittert. Doch drei deutsche Altertumsforscher sind überzeugt: Er lautet »Israel«.

Sollten sie recht behalten, hätten sie – und das wäre eine »schwer zu toppende Sensation« in der Erforschung der Geschichte Palästinas, wie es Stefan Wimmer, Ägyptologe von der Universität München, ausdrückt – einen Fund gemacht, der die gesamte Chronologie des frühen Israels infrage stellt. Denn die eigentümliche Schreibweise der Hieroglyphen lässt nach Meinung der Forscher nur den Schluss zu, dass das Relief weit vor dem Jahr 1200 v. d. Z. entstand, als Israel nach bisheriger Auffassung noch gar nicht existiert haben dürfte. Und in diesen Jahrhunderten zeichnet der archäologische Befund ein deutlich exodusfreundlicheres Bild.

Der Ägyptologe und Schriftexperte Manfred Görg bemerkte bereits 2001 in einem weitgehend unbeachteten Aufsatz, dass hier direkt neben den beiden besser lesbaren Ortsbezeichnungen »Kanaan« und »Aschkelon« der Name »I-schra-il« niedergeschrieben sein könnte. Nun machte der mittlerweile emeritierte Professor für Alttestamentliche Theologie an der LMU München gemeinsam mit dem Mainzer Bibelarchäologen Peter van der Veen und dem Heidelberger Ägyptologen Christoffer Theis weitere Hieroglyphenüberreste ausfindig und veröffentlichte Ende 2010 erneut – diesmal, in der Hoffnung auf ein größeres Publikum, in einer anerkannten englischsprachigen Fachzeitschrift, dem »Journal of Ancient Egyptian Interconnections«.

plausibel Knackpunkt ihrer Studie ist das Alter des Reliefs. Fest steht, dass die Schreibweise auf dem Berliner Block im Jahr 1200 v. d. Z. längst veraltet war. Bediente sich hier ein Schreiber vielleicht einfach eines archaischen Stils? Oder stammte er selbst aus früherer Zeit, wie Görg, Theis, allen voran aber Peter van der Veen glauben? Naturwissenschaftliche Datierungsverfahren können den Fall nicht entscheiden. Was bleibt, sind einzig Plausibilitätsargumente.

Und die zu liefern, fällt van der Veen nicht schwer. Seit Jahren schon feilt der Archäologe gemeinsam mit Forschern wie John Bimson vom Trinity College in Bristol an einer alternativen Sicht der Dinge, die sich in vielerlei Hinsicht mit den Schilderungen der Tora decken würde. Der alte Block könnte nun zum Schlussstein ihres Theoriengebäudes werden, demzufolge es tatsächlich einen »Auszug aus Ägypten« gegeben hat, wenn auch deutlich früher als angenommen – vielleicht um das Jahr 1500 v. d. Z.

Verschiebt man das archäologische Suchfenster um mindestens zwei Jahrhunderte nach vorn auf das Alter der Berliner Inschrift, füge sich Puzzleteil an Puzzleteil. »Wir können zwar immer noch nichts definitiv beweisen«, sagt der Forscher. »Aber im 16. Jahrhundert v. d. Z., das heißt am Ende der Mittleren Bronzezeit, ähnelte die Situation sehr stark der biblischen Erzählung von der Landnahme. Wir haben dort die letzte Befestigung der Stadt Jericho, die durch ein Erdbeben zerstört wird, und wir sehen Zerstörungen bei anderen Städten, die im Buch Joschua erwähnt werden.« Auch in Ägypten habe es zuvor gesellschaftliche und politische Entwicklungen gegeben, die in der Überlieferung Widerhall finden.

Das bestätigen auch Kritiker der »Frühdatierung«: Wenn der Exodus irgendeinen wahren Kern haben kann, dann nur, wenn Auszug und Landnahme deutlich früher stattfanden. Ob die Fachwelt nun die Berliner Inschrift als Beweis für deren Historizität akzeptieren wird, ist fraglich. Zwar hätten sich bislang die Kollegen mit Kritik zurückgehalten, so die Forscher. »Aber nachdem 1896 die Merenptah-Stele gefunden wurde, diskutierte die Fachwelt ganze 30 Jahre lang darüber, ob dort nun Israel steht oder nicht«, sagt van der Veen. Dass es diesmal anders laufen wird, steht nicht zu erwarten.

Veranstaltungen

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 21. November bis zum 28. November

 21.11.2024

Liedermacher

Wolf Biermann: Ein gutes Lied ist zeitlos gut

Er irre sich zuweilen, gehöre habe nicht zu den »irrsten Irrern«, sagt der Liedermacher

 21.11.2024

Nachruf

Meister des Figurativen

Mit Frank Auerbach hat die Welt einen der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsmoderne verloren

von Sebastian C. Strenger  21.11.2024

Berlin

Ausstellung zu Nan Goldin: Gaza-Haltung sorgt für Streit

Eine Ausstellung würdigt das Lebenswerk der Künstlerin. Vor der Eröffnung entbrennt eine Debatte

von Sabrina Szameitat  21.11.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Meinung

Maria und Jesus waren keine Palästinenser. Sie waren Juden

Gegen den Netflix-Spielfilm »Mary« läuft eine neue Boykottkampagne

von Jacques Abramowicz  20.11.2024

Berlin

Von Herzl bis heute

Drei Tage lang erkundet eine Tagung, wie der Zionismus entstand und was er für die jüdische Gemeinschaft weltweit bedeutet

 20.11.2024

Antisemitismus

»Verschobener Diskurs«

Nina Keller-Kemmerer über den Umgang der Justiz mit Judenhass und die Bundestagsresolution

von Ayala Goldmann  20.11.2024