Eine seltene Ehre ist am 9. April einem israelischen Wissenschaftler zuteilgeworden: Yaakov Nahmias von der Hebräischen Universität Jerusalem wurde zum Mitglied des »American Institute for Medical and Biological Engineering« (AIMBE) ernannt – das Institut akzeptiert nur die besten zwei Prozent aller Biomediziner.
Der 43-jährige Nahmias hat in seiner Karriere schon viel erreicht: Mit »Future Meat« hat er ein Verfahren erfunden, bei dem Zellen, die lebenden Tieren schmerzfrei entnommen wurden, im Labor zu Fleisch werden. Diese Errungenschaft ist aus mehreren Gründen wichtig: Im Jahr 2050 werden Schätzungen zufolge 9,7 Milliarden Menschen auf der Erde leben, die alle möglichst abwechslungsreich ernährt werden müssen.
Massentierhaltung Schon jetzt aber ist Massentierhaltung, auch aufgrund der damit einhergehenden Umweltverschmutzung, verpönt – künstlich hergestelltes, von echtem nicht zu unterscheidendes Fleisch könnte selbst für überzeugte Veganer eine ernst zu nehmende Alternative sein, weil kein Tier für die Produktion getötet werden muss.
Und auch für koscher lebende Juden könnten sich dadurch ganz neue kulinarische Perspektiven ergeben: Nach Rabbiner Menachem Genack, Chef der Koscher-Abteilung der Orthodox Union in den USA, hatte auch der prominente orthodoxe Rabbiner Yuval Cherlow vor einigen Wochen erklärt, dass geklontes Fleisch nicht den gleichen Kaschrut-Vorschriften unterliege wie das von wirklichen Tieren – und dass auch künstlich hergestelltes Schweinefleisch parve sei und entsprechend zusammen mit milchigen Speisen gegessen werden dürfe.
Auf einem Symposium der Bar-Ilan-Universität zum Thema »Wissenschaft und Halacha« sprach sich Cherlow vehement für eine rabbinische Zulassung des Klonfleischs aus, »damit die Menschen nicht verhungern, und um Umweltverschmutzung sowie das Leiden der Tiere zu verhindern«.
Solidarität Yaakov Nahmias’ Karriere ist beeindruckend. Geboren im April 1974 in Tel Aviv, studierte er Chemie und Biologie am Technion in Haifa, wo er mit »magna cum laude« abschloss. 2006 wurde er unabhängiger Forscher an der Harvard Medical School, 2012 gründete er BioDesign Israel, ein auf medizinische Lösungen spezialisiertes Programm, dessen Arbeiten mehrfach prämiert wurden.
Im September 2017 wurde Nahmias, der seine Frau Michael Haimov in den USA kennengelernt hatte, auch amerikanischer Staatsbürger. Er habe ein Drittel seines Lebens in den USA verbracht, schrieb er dazu auf Facebook, »mein Herz schlägt sowohl bei der Hatikwa als auch beim ›Star-Spangled Banner‹ schneller«. Er betonte: »Es ist so, wie ich jedes einzelne meiner Kinder liebe, da gibt es auch keinen Konflikt.«
Gleichwohl ist seine Solidarität mit Israel unübersehbar. Dass in den Berichten der großen englischsprachigen Fernsehsender über die von der Hamas organisierten Proteste an der Grenze unterschlagen wurde, dass die Demonstranten bewaffnet waren, empörte ihn sehr. Nahmias postete entsprechende, von der israelischen Armee veröffentlichte Fotos und beklagte, dass auf CNN und BBC trotzdem nur von unbewaffneten Zivilisten gesprochen wurde: »Das ist es doch, warum die Leute Trump glauben, wenn er behauptet, diese Sender verbreiteten nur Fake News – gibt es überhaupt noch richtige Journalisten?«
Wenn er in den USA schon hätte wählen dürfen, dann hätte er 2016 für Hillary Clinton gestimmt. Obamas Nahostpolitik stand er zwar kritisch gegenüber, erklärte jedoch, Hillary hätte eigentlich schon 2008 Präsidentin werden sollen, »aber jetzt wird sie umso besser sein, wenn sie erst einmal aus seinem Schatten heraustritt«.
Auf Facebook scherzt er aber auch gern. Anlässlich der Geburt seines vierten Kindes schrieb er: »Wie ihre Geschwister darf sie später einmal jede Form von Ingenieur werden, egal ob in Chemie, Biomedizin – ja, sie dürfte sogar Elektroingenieur werden.«
Durchbruch Die Geburt seiner ersten Tochter war für Nahmias zum Beginn eines gefeierten wissenschaftlichen Durchbruchs geworden. Mit dem Moment der Geburt funktioniert der menschliche Organismus erst zur Gänze – Babys beginnen zum Beispiel zu atmen, und auch die Leber nimmt erst dann ihre Arbeit auf. »Als ich sah, wie sie nur kurze Zeit, nachdem sie auf die Welt kam, gestillt wurde, fiel mir auf: Jetzt fängt ihre Leber an zu funktionieren«, erinnerte er sich vor drei Jahren in einem Interview.
Aber was genau signalisiert den Organen, dass sie jetzt arbeiten müssen? Nahmias und sein Team machten sich auf die Suche. Die Laborproduktion von Leberzellen war zu dieser Zeit ein großes Problem. Niemandem war es bis dato gelungen, Zellen zu züchten, die genauso arbeiten wie das Organ im menschlichen Körper. Gleichzeitig waren sich Experten weltweit darüber einig, dass solche im Labor entstandenen Zellen ein ganz wichtiger Fortschritt für die Pharmazie wären.
Tierversuche sind schließlich in den meisten Ländern verpönt oder gleich ganz verboten, aber die Auswirkungen neuer, vielleicht sogar lebensrettender Medikamente müssen getestet werden, bevor sie Patienten verabreicht werden dürfen. Gezüchtete, schnell wachsende Leberzellen, die sich verhalten wie die, aus denen menschliche Lebern im wirklichen Leben bestehen, waren also ein dringend benötigter Durchbruch.
Nahmias fand heraus: Schon vor der Geburt im Verdauungssystem existierende Bakterien produzieren sofort danach Vitamin K2 und Gallensäure, die das Stoffwechselprogramm aktivieren. Krankheiten und lebensbedrohliche Krisen wie Fettleber, Hepatitis, Krebs und Drogen-Überdosen können mithilfe der künstlichen Zellen bald weltweit in Laboren erforscht werden.