Glosse

Ständig wird gestört

Wurde wieder unterbrochen: Claudia Roth Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Claudia Roth ist nicht zu beneiden. Andauernd werden Kulturveranstaltungen, an denen sie teilnimmt, von Störern gesprengt. Ihnen geht es in Wahrheit um Politik und nicht um Kultur und auch nicht um Erinnerungskultur.

Bei der Jewrovision, dem Gesangswettbewerb des Zentralrats der Juden, war Roth letztes Jahr von einigen Jugendlichen ausgebuht worden. Der Grund? Ihr Handling der documenta fifteen. Wollten diese Leute nicht wahrhaben, wie sehr sich Roth engagiert hatte gegen den Antisemitismus auf der Kasseler Kunstschau? Oder waren sie womöglich von anderen vorgeschickt worden? »Das ist Demokratie«, rief Roth den Störern zu. Die Kritik steckte sie weg.

Vor einigen Wochen, Ende Februar, saß die Kulturstaatsministerin bei der Abschlussgala der Berlinale in der ersten Reihe. Anschließend musste sie sich sogar dafür rechtfertigen, dass sie da sitzengeblieben war, obwohl Freunde der palästinensischen Sache die Bühne zur Propagandaplattform machten. Roth geriet unter Beschuss – natürlich völlig zu Unrecht, wie wir heute wissen.

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Roth musste die Sache im Kulturausschuss des Bundestags zurechtrücken – sechs Wochen später. Eine Ewigkeit in der Politik. In Wahrheit sei das ZDF daran schuld gewesen, dass der Berlinale-Abschluss vergeigt wurde, und nicht sie, betonte Roth vor den Abgeordneten. Jemand – das sagte sie nicht – hatte den Menschen offenbar einen Goldenen Bären aufgebunden.

Was sie denn hätte machen sollen, fragte die oberste Kulturpolitikerin des Bundes die Damen und Herren Parlamentarier. Aufstehen und lautstark protestieren, wie einige es gefordert hatten? Nur, wie hätte das denn ausgesehen, hätte eine Politikerin sozusagen von Staats wegen eine viel beachtete Kulturveranstaltung gesprengt?

Das saß. Doch wenn die Grüne gehofft hatte, sie würde nach ihrer Klarstellung von den übellaunigen Fanatikern der verfeindeten nahöstlichen Glaubensrichtungen in Ruhe gelassen, sah sie sich am Donnerstag eines Besseren belehrt. Denn das Schauspiel »Hau die Claudi« geht munter weiter. Die Akteure waren andere, das Thema dasselbe.

»Viva Palästina«-Rufe

Im Haus der Kulturen der Welt in Berlin sollte eigentlich über Kolonialismus und die Erinnerung daran geredet werden. Eine Feierstunde sollte es sein, mit Musik, Film und Poesie. Ein Event also, das die Herzen öffnet. Da durfte Claudia Roth nicht fehlen.

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Doch als sie sich anschickte, ihren Redebeitrag zum Besten zu geben, passierte es. Plötzlich standen wieder Leute mit Palästinenserflagge um den Bauch und Palästinensertuch um den Hals auf der Bühne und riefen »Viva Palästina«.

»Keine Erinnerungskultur ohne das Eingeständnis der aktuellen Mitschuld Deutschlands am Völkermord an den Palästinenser*innen«, schrie einer – immerhin noch auf Deutsch, sodass es alle verstehen konnten.

Der Nächste las dann sein Statement vom Smartphone ab. Auf Englisch, denn das Ausland und der Globale Süden schauen und hören dieser Tage genau hin, was in Deutschland so alles gesagt wird. Der junge Mann sprach von »German complicity in arming the settler-colonial state of Israel, permitting the genocide against the Palestinian people«.

»Ruhe«, rief ein Zuschauer in den Raum. Doch Claudia Roth kam zunächst nicht zu Wort. Nicht etwa, wie bei der Berlinale, weil sie es nicht wollte. Sondern, weil es einfach zu laut war.

Als die Störer immer lauter »Viva, viva Palästina« brüllten, ging Roth zurück zu ihrem Platz. Wenigstens versagte dieses Mal – anders als bei der Berlinale – nicht auch noch die Moderatorin. »Wir bleiben auf jeden Fall alle ruhig«, sagte Miriam Camara. »Das ist ein demokratischer Raum. Unser Thema rüttelt auf, und Politiker sind hier. Sie werden was sagen. Aber das ist nicht der Raum der Politiker heute.«

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An dieser Stelle hätte Roth auch beleidigt aufstehen und zusammen mit ihrem Berliner Amtskollegen Joe Chialo (CDU) erhobenen Hauptes den Saal verlassen können. Was muss man sich denn noch alles antun als Kulturpolitikerin? Den Kulturschaffenden das Geld zuschieben und sich dafür auch noch beleidigen lassen?

Doch nicht Roth war es, die unter Protest den Saal verließ, sondern die Protestierer. Die Kulturstaatsministerin blieb aber, anders als bei der Berlinale, nicht einfach wieder sitzen. Sondern sie stand auf und hielt tapfer ihre Rede, denn (Sie ahnen es bereits): »Das gehört zur Demokratie.«

Wie sagte schon Winston Churchill? »Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen. Abgesehen von allen anderen.«

Claudia Roth könnte ein Lied davon singen. Aber sie singt lieber »Viva democratia«. Recht hat sie.

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