Noch heute gibt es Deutsche, die am liebsten einen Schlussstrich ziehen würden. Andere Nachgeborene stellen sich ihrer historischen Verantwortung und empfinden so etwas wie Scham. So auch Iris Berben. Die Schauspielerin gehört zur jener Generation, die die Suppe auslöffeln, die auch ihre Eltern angerichtet haben. Es geht um die Ermordung von sechs Millionen Juden.
Iris Berben hat ein Buch geschrieben mit dem Titel Jerusalem. Sie beginnt mit der Beschreibung, wie sie als 17-Jährige einen Mühlstein auf ihren Schultern trug, als sie 1968 das erste Mal Israel besuchte: »Ich war fassungslos über die Taten der deutschen Dämonen, trug ein schweres Paket voller Geschichte, das mich tief beschämte. Ich erlebte zum ersten Mal, was Scham in ihrem dunklen Sinne ist: Unsere Elterngeneration hatte in einem unvorstellbaren Maß unehrenhaft, unanständig, verbrecherisch gehandelt. Ich verstand, dass viele der Überlebenden nicht mit jemandem sprechen wollten, der aus dem Land der Täter kam: Meine Mutter hätte eine KZ-Aufseherin gewesen sein können, mein Vater ein SS-Büttel.«
Gespräch So etwas könnte ja jeder schreiben, der sich mit einem Buch der Hauptstadt Israels annähern will – quasi als Entree-Billet, um Glaubwürdigkeit vorzugaukeln. Doch Iris Berben dringt noch tiefer ein in das Geflecht aus Schuld und Scham. Hier geht es nicht um das berühmte »Fremdschämen«. Hier wird die Schuld der Eltern wie die eigene empfunden: »Irgendwann kam ich in ein langes, intimes Gespräch mit einer Jüdin, um die 70 mag sie damals gewesen sein ... Sie ließ sich Zeit für das Mädchen, sie erzählte und erzählte von dem, was ihr widerfahren war. Geduldig beantwortete sie jede meiner ungläubigen Fragen – und sie, die gequälte und gebrandmarkte Jüdin, die durch uns Deutsche so viel durchlitten hatte, nahm mich in die Arme und trocknete meine Tränen der Scham.«
Das ist kein billiger Schauspielertrick. So viel »Cojones«, so viel »Traute«, haben wenige Deutsche, die versuchen, Auschwitz in die Augen zu schauen. Iris Berben empfindet es noch heute als »Glück«, dass sie damals gelernt hat, mit ihrer Schuld und ihrer Scham zu leben.
Staunen Erst vor diesem Hintergrund – einem sehr intimen Durchschreiten der Stadttore Jerusalems – gelingt es Iris Berben, die Leser für ihre »Sentimental Journey« zu begeistern: mit ihrem Staunen über die Schnipsel in den Fugen der Kotel oder über die geschichtsträchtigen Schründe und Risse im gelblich-weiß schimmernden Meleke-Stein, aus dem die Stadt erbaut wurde. Fotografien des Dokumentarfilmers und Fotojournalisten Tom Krausz runden das Bild ab. Iris Berben ist eine ebenso glaubwürdige wie empfindsame Reiseleiterin, der man gerne folgt.
Gefühlsduselig sind ihre Beschreibungen nicht. Sie leidet nicht, wie viele Besucher, die die Stadt aus Gold zum ersten Mal sehen, unter dem Jerusalem-Syndrom, jener den Geist in Mitleidenschaft ziehenden Erkrankung, die die Urteilsfähigkeit herabsetzt. Jerusalem ist und war nicht nur das religiöse Zentrum für Juden, Muslime und Christen, sondern auch der Hotspot für Konflikte zwischen den Religionen.
Auch wenn Iris Berben ideologische Klippen umschifft und versucht, sich auf keine Seite zu schlagen, so entführt sie uns doch in die jüdische Welt. Über die Jahre sei eine »tiefe Verbundenheit« entstanden mit »dem Land und der Stadt, den Menschen, ihrer Kultur«. Diese Verbundenheit ist echt. Und preisverdächtig: Keine Auszeichnung und kein Verdienstkreuz, das sie in den vergangenen Jahren nicht verliehen bekam. Iris Berben wird dafür geehrt, dass sie die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen vorantreibt. Scham hat ihr dabei die richtige Richtung gewiesen.
Iris Berben/Tom Krausz: »Jerusalem. Menschen und Geschichten einer wundersamen Stadt«. Corso, Wiesbaden 2015, 128 S., 28 €