Kunst

Sperriger Impressionist

Schweizer Sammlerstück: Liebermanns »Strandterrasse in Noordwijk« von 1913 Foto: Privatsammlung

Max Liebermann, der Berliner, dessen Werke zu seinen Lebzeiten von Publikum und Kunstkritik gleichermaßen geschätzt wurden, und die Schweiz: Interessante Anknüpfungspunkte für eine Ausstellung gibt es eine ganze Reihe, ganz abgesehen davon, dass Liebermann mit seiner Frau wiederholt im Engadin Urlaub machte.

Zu erwarten gewesen wäre, dass eine so ambitionierte Ausstellung, wie sie seit voriger Woche bis zum 19. Oktober im Museum Oskar Reinhart in Winterthur, also gewissermaßen in der Provinz, präsentiert wird, in Zürich oder Luzern veranstaltet würde. Allein schon wegen der dafür nötigen finanziellen Mittel. Immerhin war Adolf Jöhr, seit 1922 Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft, Mitglied der Generaldirektion der Schweizerischen Kreditanstalt, der Vorläuferin der Credit Suisse, die sich heute gern mit viel Tamtam als wichtigster Sponsor des Museums in Szene setzt.

zürich 1923, ein Jahr nach dem Amtsantritt Jöhrs und ein Jahr nach Liebermanns 75. Geburtstag, zeigte das Kunsthaus Zürich eine Auswahl von über 100 Bildern aus allen Schaffensperioden Liebermanns sowie zahlreiche Zeichnungen und den Großteil des grafischen Werks. Eine Ausstellung, die mit »vielfacher Mühewaltung« nicht zuletzt finanzieller Art verbunden war, wie die Neue Zürcher Zeitung damals berichtete: »Aber im Vorstand der Kunstgesellschaft war man der Ansicht, dass das Werk dieses Künstlers die Kraft und Gültigkeit besitze, um diesen Entschluss zu rechtfertigen.« Ein Entscheid, aber auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, die heute bei der auf zugkräftige Namen und Besucherzahlen bedachten Institution so nicht mehr getroffen würde.

Zu sperrig ist Liebermanns deutscher Impressionismus, der eben nicht denselben Zuspruch findet wie das französische Vorbild. Zu irritierend die Biografie des Juden Liebermann, der als deutscher Künstler zu wenig deutsch und als jüdischer Künstler zu assimiliert war. Dessen Werke mit derselben Selbstverständlichkeit sowohl in den beliebten Kunstzeitschriften »Pan« und »Die Jugend« abgedruckt wurden als auch in den jüdischen Monatsschriften »Ost und West« oder »Menorah«.

Zu problematisch auch ist der Umgang mit Liebermann, der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933, genau zehn Jahre nach der Zürcher Ausstellung, auf Anraten von Jöhr 14 Gemälde französischer Kunst seiner großen Sammlung im Depot des Kunsthauses Zürich einlagerte, darunter sechs Werke von Édouard Manet und drei von Edgar Degas.

luzern Die Ausstellung hätte auch ein Projekt sein können für Luzern, wo 1943 die Galerie Fischer, die 1939 die berüchtigte Auktion mit von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Werken durchführte, das ebenfalls beschlagnahmte Gemälde »Sommerabend an der Alster« von Liebermann mit einer falschen Herkunftsangabe abstoßen wollte, zunächst aber keinen Käufer fand. Das Werk, das 1923 in der großen Zürcher Ausstellung gezeigt worden war, wurde erst 2013 an die Erben des ursprünglichen Besitzerpaares zurückge geben, um diesen Februar vom Auktionshaus Sotheby’s für rund eine Million Euro versteigert zu werden.

Luzern ist auch, wo Liebermanns Münchner Kunsthändler Heinrich Thannhauser 1919 eine Niederlassung eröffnete, die seit 1921 von seinem Neffen Siegfried Rosengart geführt wurde. Zwar sind in der Ausstellung zwei Bilder der von seiner Tochter Angela Rosengart 1992 errichteten Stiftung zu sehen. Doch das Museum Sammlung Rosengart in Luzern lockt längst lieber mit Pablo Picasso und Paul Klee.

Immerhin bestehen auch direkte Bezüge zu Winterthur. Der Sammler Oskar Reinhart kaufte im Alter von 28 Jahren Liebermanns kleinformatiges Bild »Kind mit Apfel«. Weitere Ankäufe folgten. Und 1934 erwarb er für den damals stolzen Preis von 5000 Reichsmark eine Zeichnung von Adolf Menzel aus Liebermanns Sammlung. Reinhart, der buchstäblich gut betuchte Sohn einer Familie, die mit dem Handel von Baumwolle ein Vermögen erwirtschaftet hatte, unterstützte so den fast 40 Jahre älteren Liebermann, dessen Familie ihren Wohlstand ebenfalls dem Handel mit Baumwolle zu verdanken hatte.

sponsoren Dass eine Ausstellung mit Werken Liebermanns ein heißes Eisen sein kann, auch wenn bei Reinhart alles mit rechten Dingen zugegangen sein soll, dessen ist man sich allerdings in Winterthur bewusst. Auch wenn es nicht um den derzeitigen Renner Raubgut geht, sondern um »Fluchtgut«. Um Werke also, die von ihren Eigentümern bei der Emigration aus Deutschland in die Schweiz gebracht worden sind. Grund genug für das Museum, am 28. August eine internationale Tagung zu diesem Thema mit Forschern, Museumsleuten und Juristen auszurichten, gesponsert, notabene, von Sotheby’s.

Auch die sorgfältig vom Museumsdirektor Marc Fehlmann konzipierte und realisierte Schau verdankt sich ausschließlich Sponsoring und Zuwendungen von Firmen und Stiftungen, allen voran die Isaac-Dreyfus-Bernheim-Stiftung, Vereinigungen wie dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund und der Israelitischen Gemeinde Winterthur sowie Privaten.

Sie erlaubt es, die Entwicklung Liebermanns zu verfolgen, von den »realistischen« Zeichnungen und Bildern mit durchaus auch sozial engagiert zu verstehenden Motiven wie »Altmännerhaus in Amsterdam« oder »Die Netzflickerinnen« über die Dünenlandschaften und Badenden, Porträts von Persönlichkeiten mit Rang und Namen der großbürgerlichen Gesellschaft zur Farbenpracht des Gartens seiner Villa am Wannsee. Es ist aber auch eine Ausstellung über die wechselvolle Geschichte der Exponate und damit der schwierigen Rezeption Liebermanns wohl nicht nur in der Schweiz.

Max Liebermann und die Schweiz«. Museum Oskar Reinhart, Winterthur, bis 19. Oktober

www.museumoskarreinhart.ch

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025