Kunst

Sperrholz vor weißen Wänden

In der internationalen Kunstszene bekannt wurde Raffi Lavie zwei Jahre nach seinem Tod. Das war 2009, als bei der Biennale in Venedig der israelische Pavillon postum seinem Werk gewidmet wurde – ein Novum in der Geschichte der venezianischen Ausstellung. Jetzt bietet sich in Berlin die seltene Gelegenheit, den israelischen Künstler kennenzulernen, in dessen Werk Einflüsse von Paul Klee, Jean Dubuffet, Robert Rauschenberg und später auch Marc Chagall sichtbar sind. Die Galerie Sara Asperger in der Sophienstraße in Mitte präsentiert bis Ende Juli Arbeiten Lavies in einer kleinen retrospektivenhaften Ausstellung.

avantgarde Raffi Lavie, 1937 in Tel Aviv geboren, war als Künstler, Lehrer und Kunstkritiker eine zentrale, charismatische Figur in der israelischen Kunstszene, die er vier Jahrzehnte lang, bis zu seinem Tod 2007, stark beeinflusste. Er führte die Avantgarde der 60er-Jahre in Israel ein, als Gründer der Gruppe 10+, die sich 1965 formierte. Lavie war auch der Hauptvertreter einer israelischen Stilrichtung, die sich in den 70er-Jahren herausbildete und auf Hebräisch »Dalutt ha Chommer« genannt wird, was sich wörtlich mit »Dürftigkeit des Materials« übersetzen läßt. Ilan Wizgan, der Kurator der Berliner Ausstellung, erläutert: »Charakteristisch für ›Dalutt ha Chommer‹ ist die Verwendung von einfachen, asketischen Materialien, wie sie im Tel Aviv der 70er-Jahre in typischer Weise zu finden waren, wie zum Beispiel Sperrholz. Lavie entschied sich, die Leinwand als klassischen Malgrund der Ölmalerei hinter sich zu lassen und fing an, auf Sperrholz zu malen, was damals als sehr ungewöhnlich galt.« Dieser Tel Aviver Stil, als Antithese zum Jerusalemer Stil der dort ansässigen Bezalel-Kunstakademie entwickelt, setzte sich bald durch. Die israelische Kunstszene verlagerte sich in die Mittelmeermetropole, die für einen urbanen, säkularen Lebensstil stand, unbefrachtet von ideologischen Narrativen.

tradition Hatte Lavie mit seiner Kunst das Erbe der »Jecken« wie seiner aus Deutschland nach Israel eingewanderten Eltern aufgegeben und die jüdische Tradition der Diaspora hinter sich gelassen? Viele israelische Kunstkritiker, die sich an Raffi Lavie abarbeiten, haben ihn immer wieder als einen Sabre der bildenden Kunst beschrieben, der seine Galut-Wurzeln und selbst die jüdische Kultur abgeschüttelt habe. Ilan Wizgan weist dagegen auf ständig auftauchende, eindeutig jüdische Symbole in Lavies Bildsprache hin. So erscheint im scheinbar kindlich-kritzelnden Duktus des Avantgardisten immer wieder eine minimalistische Menora, in einer Arbeit von 1989 etwa als senkrechter Strich, über den vier Halbkreise gezogen sind. Auch aufgebrochene Davidsterne finden sich und, besonders im Spätwerk der Jahre 2003 bis 2005, chagallhafte fliegende Engel und Blumen in Vasen. Auf die Bedeutung dieser Bildelemente angesprochen, hat sich Lavie jedoch einer semantischen Erklärung stets verweigert. Wizgan erinnert gern an des Künstlers liebsten Ausspruch. Wenn man ihn fragte, was hinter den Bildern stehe, pflegte Lavie trotzig zu antworten: »Mi achorei ha tsiur jesch rack ha kir lawan!« – »Hinter meinen Bilder steht nur die weiße Wand!«

sammlung Weiße Wände sind auch in der Galerie Asperger der Hintergrund für die ausgestellten Gemälde Lavies, die, wenngleich es nur 17 sind, dennoch einen Überblick über die gesamte Schaffensperiode des Künstlers geben, von 1961 bis 2004. Die Arbeiten stammen aus der Sammlung Asperger, die rund 50 Werke Lavies umfasst. Auf diese sammlerische Leistung ist man ein wenig stolz, denn lange Zeit wurde der israelische Avantgardist vom Establishment in seinem eigenen Land ebenso ignoriert wie von der internationalen Szene. Als ihm 2009 postum der israelische Pavillon in Venedig gewidmet wurde, titelten manche Zeitungen (auch diese) ironisch »Tot in Venedig«, erinnert sich Galerist Willy Asperger und setzt mit einem zufriedenen Lächeln hinzu: »Hier zeigen wir bewusst das Gegenteil: Raffi Lavie ist ›Lebendig in Berlin‹.«

»Raffi Lavie«, Galerie Sara Asperger, Berlin, bis 31. Juli
www.sara-asperger-gallery.de

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025