Dass Bücher nicht nur Geschichten transportieren, sondern häufig selbst eine Geschichte erzählen, zeigt der Pentateuch von Fritz Berets. Das Buch ist das einzige Überbleibsel des deutsch-niederländischen Juden, der 1945 im Konzentrationslager Buchenwald/Mittelbau-Dora ermordet wurde. Der Band überstand den Zweiten Weltkrieg und gelangte später in den Bibliotheksbestand der Freien Universität Berlin. 72 Jahre nach Fritz Berets’ Tod ist es Mitarbeiterinnen der Stabsstelle NS-Raub- und Beutegut der FU Berlin gelungen, das Buch seinem rechtmäßigen Eigentümer zu überbringen.
Begonnen hatte die Suche, als der Pentateuch Anfang 2015 in der Judaistik-Abteilung der Campusbibliothek in Dahlem gefunden wurde. Ein Blick auf die handgeschriebene Widmung im Buchinneren offenbarte, dass es sich um ein Barmizwa-Geschenk handelte: »Dem Bar-Mitzwoh Fritz Berets Sabbat Mischpotim den 1. Adar 5679 – 1. Februar 1919 zur Erinnerung gewidmet. Siehe Gottesfurcht, das ist Weisheit, und das Böse meiden, ist Verstand! Hiiiob 28, 28 Oberrabbiner Dr. Levi«.
Exil Fritz Berets’ Eltern waren niederländische Kaufleute, die vor der Machtergreifung Hitlers nach Krefeld übergesiedelt waren und dort erfolgreich Geschäfte machten. Fritz Berets war eines von zehn Kindern und litt von 1933 an unter der Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Er floh, wie so viele aus seiner Familie, in die Niederlande. Im niederländischen Exil lernte er seine zukünftige Frau kennen, Lena Strauß, eine deutsche Jüdin, die ebenfalls mit ihrer Familie geflohen war.
Fritz Berets’ Neffe, der heute 79-jährige Alexander Ernst Berets, hat den Holocaust überlebt. Er berichtet, was ihm seine Mutter über das junge Paar erzählt hat: »Es klickte zwischen den beiden, und sie blieben beieinander. In Amsterdam bewohnten sie ein Grachtenhaus, und es wurden Zwillinge geboren. Ein Junge und ein Mädchen. Fast wie in einem Groschenroman. Lange dauerte ihr Glück jedoch nicht.«
Fritz Berets, seine Frau und ihre beiden gemeinsamen Kinder wurden 1943, nachdem die Wehrmacht die Niederlande besetzt hatte, inhaftiert und über das Durchgangslager Westerbork in das KZ Theresienstadt verbracht. 1944 wurde die Familie Berets nach Auschwitz deportiert, wo Frau und Kinder schon bei der Ankunft ermordet wurden. Fritz Berets starb am 28. März 1945 im Alter von 39 Jahren, gerade einmal zwei Wochen vor der Befreiung des KZs Buchenwald/Mittelbau-Dora durch die US-Armee.
Stolperstein Von seinen neun Geschwistern überlebten lediglich drei die Konzentrationslager des Deutschen Reiches. Für Fritz Berets’ Bruder, Ernst David Berets, wurde im Oktober 2013 in Maastricht ein Stolperstein verlegt. Durch diesen Stolperstein gelangten Elena Brasiler und Susanne Paul von der FU Berlin auf die Spur des rechtmäßigen Eigentümers. Brasiler und Paul kontaktierten Mitarbeiter der »Struikelsteentjes Maastricht« (Stolpersteine Maastricht) in der Hoffnung, einen lebenden Verwandten ausfindig machen zu können.
Den Maastrichter Kollegen war zwar bekannt, dass Alexander Ernst Berets der Neffe von Fritz Berets ist, aber man wollte zunächst keinen direkten Kontakt herstellen. Zu groß ist die Ungewissheit darüber, ob die Nachfahren der Holocaustopfer mit ihrer Familiengeschichte überhaupt konfrontiert werden möchten. Auch weiß man nicht, ob es innerhalb der Familie Streitigkeiten gibt, sodass die niederländische Organisation sich dafür entschied, erst einmal als Vermittler zwischen der Freien Universität und Alexander Ernst Berets aufzutreten.
Stabsstelle In der Stabsstelle NS-Raub- und Beutegut der Freien Universität Berlin hat man schon einige Erfahrung mit der Restitution unrechtmäßigen Besitzes. Nachdem in den Bibliotheksbeständen immer wieder geraubte Bücher gefunden wurden, entschied sich die Universität 2012 dazu, eine Stabsstelle einzurichten. Die Hauptaufgabe der Stabsmitarbeiter besteht darin, Raub- und Beutegut ausfindig zu machen und den rechtmäßigen Besitzern zurückzugeben.
Unter der Nazi-Herrschaft waren Enteignungen und Konfiszierungen Alltag in ganz Europa. Besonders der »Einsatzstab Alfred Rosenberg« konfiszierte die Bestände zahlreicher jüdischer Bibliotheken, um sie dem Deutschen Reich zuzuführen. Nach dem Krieg gelangten diese Bestände häufig in den Handel. So ist es möglich, dass Bibliothekare noch heute unwissentlich Raubgut kaufen können, wenn sie ihren Bestand erweitern.
Seit 2014 ist es den Mitarbeitern nach eigener Aussage gelungen, circa 200 Bücher zurückzugeben. Dabei macht es einen Unterschied, ob die eigentlichen Besitzer Privatpersonen oder Institutionen sind. Institutionen sind einfacher zu ermitteln, bei Privatpersonen könne die Recherche auch bis zu anderthalb Jahre dauern, so Susanne Paul.
Bei Alexander Ernst Berets hat die Suche nur ein halbes Jahr gedauert. Ihm konnten Mitarbeiter von »Struikelsteentjes Maastricht« am 4. Mai 2017 in der Maastrichter Synagoge den Pentateuch seines Onkels feierlich überreichen. Laut Susanne Paul hat sich Alexander Ernst Berets über die Rückgabe des Buches sehr gefreut: »Nachdem er das Buch bekommen hatte, hat sich Herr Berets bei uns per Mail bedankt.«